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Leiden sollst du

Leiden sollst du

Titel: Leiden sollst du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Wulff
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gegangen und zwei Monate später urplötzlich verstorben. Herzinfarkt, habe ich in der Kantine gehört. Arme Sau! Hat ja richtig viel von seinem Lebensabend gehabt.“
    „Danke.“ Daniel wusste das wirklich zu schätzen. „Ich schulde dir was.“
    „Verbuche das unter Toleranz.“ Demonstrativ schob er die Ärmel seines schwarzen Pullovers hoch und legte das Tattoo frei, das er laut seinem Vorgesetzten bedecken musste, da sich nach dessen Meinung die romantisierte Darstellung vom Tod nicht mit der Aufklärung von Verbrechen, darunter auch Morde, vertrug.
    Daniel zog seinen rechten fingerlosen Lederhandschuh aus und zeigte ihm Maries eintätowierten Namen unter dem Ehering.
    Vasili gab einen Laut der Anerkennung von sich gab. „Das Stechen an der Fingerwurzel muss verdammt wehgetan haben, Alter.“
    „Das kann ich dir sagen.“ Verlegen, weil es bewies, wie verzweifelt er Marie liebte, zog Daniel seinen Handschuh wieder an.
    Daniel verließ Vasili und fuhr geradewegs nach Müngersdorf. Es dämmerte bereits, als er am Straßenrand parkte. Es war für ihn umständlich, aus seinem Wagen auszusteigen und es blieb ihm peinlich, wenn Passanten starrten, aber glücklicherweise war niemand zu sehen. Allerdings hatte die Allee eine leichte Steigung, was zusätzliche Mühe bereitete. Trotz der zunehmenden Abendkälte schwitzte er.
    Ihm fiel ein, dass sein Mobiltelefon noch auf lautlos eingestellt war, und er änderte das sofort. Vereinzelte Tropfen fielen auf das Display. Für einen kurzen Moment hoffte er, darauf den Hinweis „Ein Anruf in Abwesenheit“ zu lesen, doch der Wunsch ging nicht in Erfüllung.
    Marie hatte nicht versucht, ihn zu erreichen. Schade.
    Eine Weile starrte er auf sein Handy, den Finger erhoben, um ihre Nummer zu wählen, doch am Ende steckte er es wieder ein. Er musste sich für sein abweisendes Verhalten von Angesicht zu Angesicht entschuldigen, nicht am Telefon. Und vor allen Dingen verspürte er den Drang, sie zu umarmen und an sich zu drücken.
    Mit einem Mal konnte er es kaum erwarten, nach Hause zurückzukehren, doch erst musste er noch mit Corinna Backes sprechen.
    Der Wind peitschte ihm ins Gesicht, als er sich den Weg hoch quälte, um zur Hausnummer 18 zu gelangen. Auf den ersten Blick sah die Häuserreihe mit ihren Stuckverzierungen und Erkern sehr hübsch aus, ein wenig zu verspielt für Daniels Geschmack, aber er zog charaktervolle Fassaden aalglatten Neubauten vor. Doch als er auf den Eingang zufuhr, bemerkte er, dass Risse und einige handtellergroße Flächen, wo der Putz abgeblättert war, einfach übermalt worden waren. Unter dem Elfenbeinweiß zerfiel das Gebäude.
    Daniels Laune sank in den Keller, als er vor der Treppe anhielt. Drei Stufen, nur mickrige drei Stufen trennten ihn von der Haustür und dennoch war sie so unerreichbar für ihn wie die Klingelknöpfe.
    „Verdammter Mist!“ Mit der flachen Hand schlug er auf die Armlehne. Er hasste es, an diesen Bock gekettet zu sein! Doch das erste Mal überließ er seinem Gram nicht die Oberhand, sondern nahm sich vor, eine Teleskopstange zu kaufen. Seine Querschnittslähmung konnte er nicht ändern, also musste er sich besser darauf einstellen. Griesgrämig spähte er zu den Namensschildern auf, als könnte er durch bloßes Starren die Klingel drücken.
    „Kann ich Ihnen helfen?“ Eine schlanke Frau ging an ihm vorbei.
    Er schätzte sie auf Mitte zwanzig. Ihrem kreativen Outfit nach schätzte er, dass sie Studentin war, etwas Künstlerisches. Oder sie arbeitete in einem Secondhandladen. Sie hatte ihre langen braunen Haare über ihre Schultern nach vorne gelegt und mit schwarzen Gummibändern locker zu Zöpfen gebunden, als wäre sie zuckersüße acht Jahre alt, dabei hatte sie ihre Augen so dick mit dunklem Kajal umrandet wie Amy Winehouse. Ihre abgewetzte schwarze Lederjacke musste Größe XS sein. Dass sie darin überhaupt Luft bekam, wunderte Daniel. Unter ihrem knallbunten Strickrock trug sie eine schwarze blickdichte Strumpfhose. Ihre Gummistiefel in Leopardenoptik schmiegten sich so eng an ihre Waden, als wären sie extra für sie angepasst worden.
    „Hi, ich bin Maja“, sagte sie, als wollte sie das Eis brechen, indem sie ihren Namen nannte.
    „Daniel.“ Er zeigte auf die Schilder. „Könntest du für mich bitte bei Corinna Backes klingeln?“
    „Klar.“ Ohne zu zögern, stieg Maja die Treppe hoch und tat ihm den Gefallen, aber die Gegensprechanlage blieb stumm. Sie läutete wieder und wieder, bis es Daniel schon

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