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Leiden sollst du

Leiden sollst du

Titel: Leiden sollst du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Wulff
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unangenehm wurde. „Vielleicht kehrt sie Blätter zusammen.“
    Besorgt beobachtete er, wie sie ihren Daumen auf den Knopf drückte und nicht wieder losließ. „Wie bitte?“
    „Das machte sie im Herbst ständig. Sie hat eine Erdgeschosswohnung mit Garten, ich wohne im Stockwerk über ihr bei meinen Eltern.“ Verlegen schulterte sie die Tasche, die so groß war, dass, so unkte Daniel, ihr ganzes Hab und Gut darin Platz fand. „Ich gehe noch zur Uni. Mein Zimmer hat ein Fenster nach hinten raus. Ständig sehe ich Corinna mit der Laubharke. So heißt das Ding doch, oder? Eines Tages fragte ich sie, warum sie die Blätter nicht in den Mülleimer packt. Wenn sie sie nur auf einen Haufen kehrt, wie sie es tut, weht der Wind sie jedes Mal wieder auseinander. Ist doch dumm, die ganze Arbeit umsonst, besonders jetzt, wo Corinna hochschwanger ist.“ Ihr Finger blieb auf der Klingel, als wäre er daran festgeklebt.
    Daniel wollte Maja unterbrechen, um ihr zu sagen, dass es reichte, aber er kam nicht dazu, denn sie sprach ohne Luft zu holen weiter: „Sie macht das für die Igel. Kannst du dir das vorstellen? Igel in der Stadt, gibt’s so was? Die ganze Mühe für ein paar Viecher, ich wüsste Besseres mit meiner Zeit anzufangen. Aber sie meint, sie könnte keine Tiere halten, weil sie durch ihren Job selten zu Hause ist, dabei hätte sie so gerne eine Katze oder einen Hund. Deshalb kümmert sie sich liebevoll um das Leben in ihrem Garten. Irgendwie verrückt! Ich meine, die gehören ihr doch nicht. Wenn du mich fragst, ist sie deshalb sogar früher in Mutterschutz gegangen. Sie sagt, sie sei krankgeschrieben, ackert aber ständig im Freien. Dabei sollte sie gucken, dass sie ihr Baby nicht durch die Bewegung verliert. Hat ja lange genug gebraucht, um schwanger zu werden.“
    „Stopp!“, rief Daniel so laut, dass eine Frau mit Kopftuch alarmiert aus einem der Fenster schaute, wohl um herauszufinden, was das Gebrüll auf der Straße sollte. „Danke für deine Hilfe, aber jetzt kannst du die Klingel loslassen. Wenn sich Corinna Backes bis jetzt nicht gemeldet hat, wird sie nicht zu Hause sein.“ Und bitte hör auf zu quasseln, fügte er in Gedanken hinzu.
    „Oh! Ja, klar.“ Sie nahm ihre Hand herunter und blieb unschlüssig stehen.
    Bei dem Wetter würde er bestimmt nicht vor ihrem Haus herumlungern und auf sie warten. „Wahrscheinlich ist sie mit ihrem Mann ausgegangen.“
    „Corinna?“ Maja prustete. „Niemals. Ich habe noch nie einen Kerl bei ihr gesehen. Wenn du mich fragst, hat sie sich bewusst einen Samenspender gesucht, bevor der Zug für sie abgefahren ist. Ich meine, sie ist doch bestimmt schon vierzig oder älter. Sie geht praktisch nie aus. Wo sollte sie jemanden kennenlernen? Merkwürdig, dass sie sich nicht meldet.“
    Daniels Nackenhaare stellten sich auf. Er zog den Reißverschluss seiner Fleecejacke bis oben zu und stellte den Kragen auf, aber dieses eisige Gefühl blieb.
    „Durch ihre Arbeit war sie früher kaum zu Hause. Jetzt, wo sie krank ist, verlässt sie die Wohnung kaum noch. Sie ist so gut wie immer da. Bestimmt wird sie mal eine richtige Glucke.“
    „Nur ausgerechnet jetzt nicht.“ Schon komisch. Die Kälte an seinem Haaransatz breitete sich auf seinem Rücken aus.
    „Vielleicht hängt sie über der Kloschüssel und kotzt. Oder kehrt Laub zusammen, im Garten hört sie das Schellen nicht.“ Maja zeigte zur Straßenecke. „Wenn du da runter und dann nach rechts mit deinem Popo-Ferrari fährst ...“
    „Popo-Ferrari?“ Er glaubte, sich verhört zu haben, und erntete ein verschämtes Kichern von ihr. Dann errötete sie und für ein paar Sekunden machte es den Anschein, als ob sie poussierte. Es erstaunte ihn, wie locker Maja damit umging, dass er im Rollstuhl saß, und er beneidete sie um ihre Leichtigkeit.
    „Von der Seitenstraße aus führt ein Weg an der Rückseite der Reihenhäuser vorbei.“ Sie gestikulierte wie ein Verkehrspolizist. „Von dort kommst du in Corinnas Garten, der dritte auf der rechten Seite.“
    „Danke.“
    Lächelnd zwinkerte sie ihm zu und verschwand in der Nummer 18.
    Er sollte nach Hause fahren und Marie in seine Arme schließen, doch Daniel konnte diese unnatürliche Kälte, die immer mehr von ihm Besitz ergriff, nicht ignorieren. Es würde ja nicht lange dauern, eben nachzuschauen.
    Er ertappte sich dabei, dass er eine kindische Freude dabei empfand, die abschüssige Straße hinunterzusausen. Rechtzeitig drosselte er das Tempo ein wenig, lenkte seinen

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