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Leiden sollst du

Leiden sollst du

Titel: Leiden sollst du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Wulff
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hast du es eines Tages satt, meine Launen zu ertragen.“
    „Dann arbeite an dir und lass dir von einem Psychologen dabei helfen.“ Diese Diskussionen kosteten sie jedes Mal ungeheuer viel Energie. Sie wusste nicht, wie lange sie noch dazu die Kraft hatte, aber noch gab sie Daniel nicht auf. Sie liebte ihn!
    „Ich werde nie wieder auf meinen eigenen Füßen stehen können. Hast du gehört? Nie wieder!“ Kurz beugte er sich vor, als wollte er aus seinem Stuhl aufspringen, doch dann sank er zurück. „Daran kann auch ein Seelenklempner nichts ändern.“
    „Aber er könnte dir helfen, deine Querschnittslähmung besser zu ertragen.“ Außerdem wollte sein Hausarzt ihn nicht länger krankschreiben, wenn er sich nicht dazu bereit erklärte, eine Psychotherapie zu machen. Zu einem Vorgespräch war Daniel ja gegangen, aber seitdem weigerte er sich, noch einmal die Praxis eines Psychiaters zu betreten, weil er schließlich keine Schraube locker hätte, wie er meinte. „Du warst so lebendig, das steckt noch in dir, du kannst dahin zurück, du musst dich nur wiederfinden.“
    „Früher schien mir die Sonne aus dem Arsch, jetzt tut sich da unten gar nichts mehr.“ Abschätzig lachte er.
    „Deinen Sarkasmus kannst du dir sparen!“ Wütend stand sie auf, neigte sich vor und stützte sich auf den Armlehnen seines Rollstuhls ab. „Unsere Freunde fragen regelmäßig, wie es dir geht und wann sie dich mal besuchen dürfen, deine Mutter wartet sehnsüchtig darauf, dass du sie endlich zurückrufst, du kannst immer noch Sport treiben – Rudern zum Beispiel, Schwimmen, Hockey, Badminton, Basketball, sogar Rugby und Karate –, und ich freue mich jede Nacht darüber, dass du neben mir liegst, denn du könntest dir bei dem Sturz auch das Genick gebrochen haben und jetzt tot sein, Herrgott noch mal.“
    Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie geschrien hatte, aber sie entschuldigte sich nicht. Sie atmete heftig, als wäre sie gelaufen, und richtete sich wieder auf.
    Stumm sah er sie an, wohl überrascht über ihren Gefühlsausbruch.
    Sie bemühte sich, ihre Fassung zurückzuerlangen. In den sechs Monaten hatte sie ihn nie ihre eigene Traurigkeit spüren lassen. Es nahm sie mit, ihn, den liebenswürdigen Macho, so fertig zu sehen, hilflos zu sein und ihn nicht aufbauen zu können. Aber sie hatte nie vor ihm geweint, hatte ihn nie ihre Verzweiflung, er könnte zu einem Häufchen Elend verkümmern, spüren lassen, denn sie wollte für ihn stark sein. Dabei war sie ebenso bedrückt über seinen Unfall, weil dieser einen größeren Einfluss auf ihr Zusammenleben hatte, als sie Daniel gegenüber zugab. Die Wohnung umbauen zu lassen hatte keine große Umstellung bedeutet. Aber er würde eine neue Aufgabe finden müssen, in Urlaub zu fahren erforderte ab sofort mehr Planung, er konnte nicht jedes beliebige Gebäude so einfach betreten – Kleinigkeiten, die alles komplizierter machten. Dennoch gab es Schlimmeres, als sich mit einem Dauerkatheter abzufinden und dem Thema, das er jetzt so leise und einfühlsam ansprach, dass es sie umso mehr schmerzte.
    „Ich kann keine Kinder mehr zeugen, Marie. Du bist erst neunundzwanzig Jahre alt.“ Sein Blick flackerte. „Ich bin kein richtiger Mann mehr.“
    Seine Worte bohrten sich wie Messerklingen in ihre Eingeweide, aber sie ließ sich nichts anmerken. „Wenn du so denkst, warum trainierst du dann deine Arme mit Hanteln?“
    Er zögerte. „Damit ich den Rollstuhl besser bewegen kann, er ist nun mal nicht elektrisch.“
    „Eine lahme Ausrede.“ Hinter ihren Augen brannten Tränen, doch sie wehrte sich mit aller Macht dagegen, vor ihm zu weinen. Das hatte sie bisher nicht getan und dazu würde sie sich auch heute nicht hinreißen lassen. Aber es wurde mit jeder Diskussion schwerer. „Du hast dich noch nicht aufgeben, denn du trimmst deinen Henri-Quatre-Bart. Du lässt dich gehen, ja, trägst drei Tage lang dasselbe T-Shirt, und keine Ahnung, wie lange du schon diese graue Jogginghose anhast, aber du stehst immer noch minutenlang vor dem Spiegel und bearbeitest deine Haare mit Gel, damit sie genau so liegen, wie du dir das vorstellst. Jemand, der eitel ist, hat mit dem Leben noch nicht abgeschlossen.“
    Sie sah ihm an, dass er versuchte, grimmig zu blicken, aber seine Mundwinkel zogen sich dennoch nach oben und sein Lächeln wirkte ehrlich. Endlich trat diese Wärme in seine schwarz-braunen Augen, die sie selbst nach vier Jahren Beziehung noch bezauberte.
    „Wenn du schon einen Invaliden

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