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Leiden sollst du

Leiden sollst du

Titel: Leiden sollst du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Wulff
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seine Lungen. Seine Sicht klärte sich.
    Im nächsten Moment stand Marie schon über Markus. Sie hatte Daniels Rollstuhl zusammengefaltet. Wie sie es schaffte, ihn hochzuheben, so zierlich wie sie war und nach allem, was sie durchgemacht hatte, blieb ihm ein Rätsel. Sie machte einen höchst fuchsigen Eindruck. Er nahm sich vor, sie nie derart gegen sich aufzubringen, denn sie schmetterte den Bock wie eine Furie gegen Kranich. Einmal, zweimal und ein drittes Mal! Bis dieser schließlich zur Seite kippte und reglos liegen blieb.
    Geschwächt ließ sie den Rolli fallen. Sie bewegte ihre Finger und rieb ihre Arme. Ihr Brustkorb hob und senkte sich heftig.
    Immer noch keuchend riss Daniel den Chopper an sich. Er konnte nicht erklären, was er vorhatte, denn seine Kehle brannte wie Feuer. Überrascht blickte Marie ihn an und er hob entschuldigend seine Hand. Er entnahm seiner Armlehnentasche den Kabelbinder, den er übrig gehabt hatte, als er im Sommer einen Bambussichtschutz rund um die Dachterrasse angebracht hatte. Erst am Morgen hatte er ihn seiner Ausrüstung hinzugefügt. Nun band er damit Kranichs Armgelenke hinter seinem Rücken zusammen.
    Erschöpft setzte er sich auf und lehnte sich gegen die Spiegelwand. Sein Hals fühlte sich an, als hätte er flüssiges Eisen geschluckt. Noch immer war er nicht ganz bei sich. Der Nebel vor seinen Augen hatte sich verzogen, aber sein Kreislauf beschwerte sich und seine Glieder waren schwer wie Blei.
    Marie und Ben setzten sich neben ihn. Sie schlang den Arm um ihren Cousin, der erneut zu weinen anfing. Sein „Danke“ ging in Schluchzen über.
    „Die Polizei ist unterwegs.“ Über Ben hinweg streichelte Marie Daniels Schulter. „Beweise haben wir zwar nicht gefunden, aber drei Zeugen können Markus Kranichs Geständnis bestätigen, das wird reichen, um ihn festzunehmen und anzuklagen.“
    „Das ist gut, aber prinzipiell wäre das gar nicht nötig“, krächzte Daniel mühsam. „Wir haben seine DNA und das hier.“
    Aus seiner Armlehnentasche holt er ein Diktiergerät heraus, das er besorgt hatte, als Marie in der Bäckerei gewesen war, und stoppte die Aufnahme. Er brauchte dringend mehr Stauraum. Und mehr Equipment. Ein Multitool zum Beispiel. Denn bald würde er zum KK 11 zurückkehren. Das Ticket dafür hielt er gerade in der Hand.
     

Epilog
     
    „Ziemlich kitschig, dieser Trend.“ Kopfschüttelnd zeigte Daniel in Richtung Hohenzollernbrücke.
    Es war so ein wunderschöner sonniger Herbstnachmittag, dass sie sich entschlossen hatten, spazieren zu gehen. Ihr Weg hatte sie auf die Rheinpromenade und durch die Altstadt geführt. Der Vorschlag war von Daniel gekommen. Allein deshalb hätte Marie ihn angenommen, selbst wenn es in Strömen gegossen hätte.
    Noch vor Kurzem hatte er sich aufgrund seiner Gehbehinderung in der gemeinsamen Wohnung eingeigelt. Jetzt drängte es ihn förmlich nach draußen, wie früher. Die Ermittlungen hatten ihn gezwungen, sein Schneckenhaus zu verlassen. So schlimm, wie der Angriff von Markus Kranich gewesen war, der Daniel beinahe das Leben gekostet hatte, er war daran gewachsen. „Ich finde sie romantisch.“
    „Das sind nur Vorhängeschlösser.“ Als wollte er ihr den Beweis erbringen, fuhr er auf die Bogenbrücke, vorbei an den unzähligen Hinterlassenschaften verliebter Paare. „Eines Tages werden sie alles zum Einsturz bringen, weil die Brückenpfeiler das Gewicht nicht mehr tragen.“
    „Warum fährst du dann auch noch darauf?“, fragte sie in einem sarkastischen Ton, der seiner würdig war. „Vielleicht ist ausgerechnet das Gewicht von dir und deinem Rollstuhl zu viel. Du spürst zwar deinen Unterleib nicht mehr, aber das bedeutet nicht, dass er leicht wie Luft ist.“
    Überrascht schaute er sie über seine Schulter hinweg an, bevor er anerkennend schmunzelte, wohl weil sie ihn mit seinen eigenen Waffen schlug. Er fuhr weiter. „Ben tut die psychologische Betreuung gut, nicht wahr? Er ist jetzt schon nicht mehr so in sich gekehrt.“
    Während seine Freunde in Untersuchungshaft saßen, durfte er die Zeit bis zum Prozess zu Hause verbringen, weil keine Fluchtgefahr bestand. Außerdem hatte Daniel sich für ihn eingesetzt und bürgte mit seinem Ruf als Kriminalhauptkommissar für ihn.
    Bens Anwalt rechnete damit, dass er wegen unterlassener Hilfeleistung eine Bewährungsstrafe bekam, eventuell Sozialstunden oder höchstens Warnschussarrest, da er während der Tat unter Alkohol- und Drogeneinfluss gestanden und geglaubt

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