Leiden sollst du
hatte, Julias Misshandlungen seien Teil eines Horrortrips und würden nicht real passieren. Zumal er selbst nicht an dem Delikt beteiligt gewesen war.
Außerdem war er zum Tatzeitpunkt minderjährig gewesen, wodurch er nach Jugendstrafrecht zu verurteilen war. Eine Verurteilung in der erwarteten Höhe würde immerhin nicht im polizeilichen Führungszeugnis auftauchen. Das beruhigte Marie, denn Benjamin war ein guter Junge. Genau darin lag das Problem. Eben weil er gut war, erkannte er auch nicht das Böse in anderen Menschen, war ein leichtes Opfer für sie, ließ sich verführen und in üble Dinge hineinziehen. Aber die Erlebnisse des vergangenen Jahres hatten ihn geprägt und verändert. Er war eine Spur erwachsener geworden.
Maik und Denis dagegen würden weit weniger glimpflich davonkommen. Das Rat Pack existierte nicht mehr.
Gemächlich spazierte Marie neben Daniel in Richtung Kalker Uferseite. In der Mitte der Brücke frischte der Wind auf, aber das war ihr egal.
Er blieb stehen, schirmte mit der Hand seine Augen ab und beobachtete ein Rheinschiff mit holländischer Flagge, das unter ihnen hindurchfuhr. „Kranich war doch nicht so ein Perfektionist.“
„War er nicht?“ Sie zog ihren Schal enger um ihren Hals, stellte den Kragen ihrer Jacke auf und hielt ihr Gesicht in die Sonne, die zwar nur noch schwach wärmte, aber nach der langen Regenperiode tat selbst das gut.
„In der leer stehenden Wohnung, aus der er seine brennenden Pfeile auf Ben und Heide geschossen hatte, fand der Erkennungsdienst Schleifspuren in der Toilette, die das Labor eindeutig ihm zuordnen konnte.“ Seine Lachfalten wurden tiefer.
Maries Brauen hoben sich. Angeekelt rümpfte sie ihre Nase. „Das kommt davon, wenn Mann keine WC-Bürste benutzt.“
„ Man würdest du in dem Fall klein und mit nur einem N schreiben, nicht wahr?“ Er setzte seine schwarze Schiebermütze schräg auf, was ihm etwas Draufgängerisches verlieh.
Sie sparte sich eine Antwort und trat näher an das Geländer heran, um eine Gruppe Fahrradfahrer vorbeizulassen.
„Er machte weitere Fehler. Das kommt davon, wenn man überheblich ist und denkt, keiner könnte einem was.“ Kurz machte Daniel eine Pause, weil ein Pärchen an ihnen vorbeischlenderte, nickte ihnen zum Gruß zu und fuhr leiser fort: „Auf der Innenseite einer der Drogenverpackungen, die auf dem Flughafen bei Maik sichergestellt wurden, fand man einen Teilabdruck von Markus’ Schuhsohle.“
Entspannt lehnte sie sich gegen die Brüstung und setzte ihre Sonnenbrille auf. „Wie konnte das passiert sein?“
„Es wurden auch winzige Teppichhaare entdeckt.“ Ein Zug, der an ihnen vorbeiratterte, zwang Daniel dazu, eine Sprechpause einzulegen. „Vermutlich hat er das Stück Alufolie bei offenem Fenster von der Rolle abgerissen, eine Windböe hat es vom Tisch geweht und er hielt es auf, indem er sich draufgestellt hat. Oder er ist versehentlich darauf getreten.“
Vor Genugtuung konnte sie sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Dumm gelaufen.“ Was für ein schöner Tag! , dachte sie, und so voller guter Nachrichten .
„Kranich behauptet, Maik hätte ihm die Drogen abgekauft, aber es fanden sich keine Fingerabdrücke des Jungen auf der Verpackung, überhaupt keine anderen Abdrücke, nur seine.“
Wie sie wusste, schwieg Maik beharrlich zu den Vorwürfen, er hätte Julia misshandelt, mit einem Gegenstand anal missbraucht und ihre Leiche im Rhein versenkt. Aber Denis hatte ein volles Geständnis abgelegt und Benjamins Aussage somit bestätigt.
Marie berührte Daniels Schulter. „Ist es für dich wirklich in Ordnung, wenn Ben vorerst bei uns wohnen bleibt?“
„Selbstverständlich, das sagte ich doch schon und meinte es auch so.“ Er legte seine Hand auf die ihre und drückte sie sachte.
„Danke.“
Inzwischen hatte sich herausgestellt, dass der Slip, den Heide bei Hans-Joachim entdeckt hatte und der sie glauben ließ, ihr Ehemann hätte eine heimliche Affäre, von Markus Kranichs ehemaliger Freundin stammte. Er musste ihn wie eine Trophäe nach der Vergewaltigung mitgenommen haben. Nadine Schmitz merkte zwar, dass er nach Kranichs letztem Übergriff fehlte, aber ihr schien das nicht wichtig genug zu sein, um es zu erwähnen.
Obwohl Heide inzwischen von der Unschuld ihres Mannes überzeugt war, hatte Kranich die Kluft, die schon vorher zwischen ihr und Hajo bestand, noch tiefer und breiter werden lassen. Einen Steg hatten sie dank ihres Therapeuten bereits gebaut, um sich wieder
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