Leiden sollst du
wusste zwar, dass er ab der Taille abwärts nichts mehr spürte, aber der Schnitt und die ausbleibende körperliche Reaktion irritierten ihn trotzdem.
Noch mehr aus der Fassung brachte es jedoch Markus. Er kroch unter dem Schrank hervor, sah, dass Daniel nicht mit der Wimper zuckte, und stockte, noch in der Hocke, verunsichert.
„So clever bist du ganz offensichtlich doch nicht“, presste Daniel zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, griff nach der Stabtaschenlampe neben ihm auf dem Sitz und zog sie zwei Mal kräftig über Kranichs Schädel, sodass dieser zusammensackte. Dessen Schopf färbte sich rot.
Seine Querschnittslähmung hatte ihn gerettet. Wer hätte das gedacht, dass sie auch zu etwas nutze sein konnte! Daniel selbst am allerwenigsten. Aber er empfand keine Freude, sondern wollte zuerst Marie und Benjamin in Sicherheit bringen und dann Kranich in Schach halten, bis seine Kollegen kamen.
Als Marie zu ihm stürzte, nahm er sie in seine Arme. Sie zitterte. Beruhigend streichelte er ihre Hüften – als Ben schrie.
Marie zuckte vor Schreck zusammen. Sie richtete sich auf, wandte sich um und keuchte entsetzt.
Ihr Gegner war zäher, als Daniel erwartet hatte. Er ärgerte sich darüber, Kranich unterschätzt zu haben, denn der stand längst wieder sicher auf seinen Füßen. Sogar sein fieses Grinsen hatte er wiedergefunden. Blut rann über sein Ohr und tropfte von dort auf seine Schulter, es unterstrich auf furchteinflößende Weise seine Brutalität.
Selbstsicher drückte er Benjamin mit dem Rücken auf den Tisch. Kranichs Hand zog Bens Kinn nach oben und zwang somit seinen Kopf in den Nacken. Mit sichtlicher Genugtuung rollte Markus eine Nadel zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her. Als Daniel näher herankam, senkte er sie tiefer über Benjamins Auge.
Sofort stoppte Daniel. Sein Puls, der gerade erst dabei war, sich zu normalisieren, stieg erneut rasant an.
Ängstlich schloss Ben sein Lid. Seine Hände waren immer noch gefesselt, sodass er ein Hohlkreuz machen musste. Der Junge wimmerte. Tränen liefen über seine Wangen. Seine Füße zuckten, als bekäme er Stromstöße. Immer wieder ging ein Beben durch ihn hindurch, die Furcht ließ ihn immer öfter unkontrolliert krampfen. Er geriet zunehmend in Panik. Doch je unruhiger er wurde, desto fester packte Markus seinen Kopf, sodass Ben bereits Probleme mit dem Schlucken bekam, da sein Hals überdehnt war.
Ein und dasselbe Ablenkungsmanöver funktionierte eigentlich nur ein einziges Mal, doch Daniel wusste sich nicht anders zu helfen und nahm ihr Gespräch von vorhin wieder auf. Außerdem gab es noch ungeklärte Fragen. Markus hatte die Gewaltbereitschaft seines Vaters Horst geerbt, allerdings nahm sie bei ihm psychopathische Ausmaße an. Warum? „Sie sind GeoGod.“
Markus’ Lächeln wurde breiter und geradezu selbstgefällig, als Daniel hinzufügte: „Der gottgleiche Rächer“, aber Kranich schwieg.
„Der alle, die seiner Meinung nach an Julias Tod Schuld trugen, leiden ließ, wie er selbst unter ihrem Verlust leidet.“ Daniel tat so, als würde er zum Nachdenken mal hier, mal dort hinsehen, doch in Wahrheit schaute er sich nach etwas um, das er als Waffe benutzen konnte. Nichts. Die Besitzer von Dancemania hatten so gut wie alles bei ihrem Auszug mitgenommen und der Rest war vermutlich gestohlen worden. „Sie ließen sie Ihren Schmerz spüren.“
„Sparen Sie sich das Psychogequatsche.“
Bei Verhören gab es mehrere Methoden, den Verdächtigen zum Reden zu bringen. Eine davon war, ihm Anerkennung vorzuheucheln. Widerstrebend polierte Daniel Markus’ Ego. „Ich wäre Ihnen beinahe nicht auf die Schliche gekommen. Das mit dem Geocaching war gewitzt. Von außen betrachtet sah es wie ein harmloses Spiel aus. Die Jungs kapierten erst, dass es um Leben und Tod ging, als sie schon in der Falle saßen.“
Abfällig schnaubte Kranich.
Auf diese Weise überrumpelte Daniel ihn zwar nicht, aber immerhin hielt er ihn davon ab, die Nadel in Bens Auge zu stechen. Allerdings ließ sich Markus dieses Mal nicht so leicht aus der Reserve locken und zum Plaudern bringen.
„Was ich immer noch nicht verstehe, ist ...“ Mit dem ausgestreckten Zeigefinger tippte sich Daniel gegen seine Unterlippe. „Warum haben Sie Benjamin nicht mit einem Pfeil erschossen oder ihm durch ein geschickt gelegtes Feuer den Fluchtweg abgeschnitten, damit er bei dem Brand, den Sie in der Wohnung der Mannteufels legten, umkam?“
„Die Zeit war noch nicht reif
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