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Leiden sollst du

Leiden sollst du

Titel: Leiden sollst du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Wulff
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zurückzukehren.“
    „Das ist doch toll!“
    Für einen Moment glaubte er, dass Tomasz seinen Arm tätscheln wollte, denn sein Kollege legte beide Handflächen auf den Tisch und schob sie ein Stück weit auf Daniel zu. Zum Glück tat er es nicht, denn sonst hätte er Tom zeigen müssen, dass er durchaus noch in der Lage war, ihm einen Klaps zu geben. Er wollte weder wie ein Kind behandelt werden noch ertrug er Jovialität. „Scheiße ist es. Ich soll in die Direktion für zentrale Aufgaben. Kannst du dir vorstellen, wie ich am Schreibtisch sitze und nichts anderes mache, als Akten zu bearbeiten?“
    Zögerlich schüttelte Tomasz den Kopf. „Den Papierkram hast du schon immer gehasst. Aber he, es ist ein sicherer Job, der dir auf einem Silbertablett angeboten wird.“
    Genau aus diesen beiden Gründen hatte er Marie gegenüber das Angebot nicht erwähnt. „Mag sein, dass ich undankbar klinge, aber ich würde kaputtgehen. Ich gehöre auf die Straße, ich will vor Ort ermitteln und keine Tippse sein.“
    „Jetzt übertreibst du aber.“ Tom nahm sein Glas und ließ den letzten verbliebenen Eiswürfel in der braunen Flüssigkeit rotieren.
    „Innendienst. Verwaltung. Dafür bin ich nicht gemacht. Das ödet mich an! Es ist nicht der Job, für den ich studiert habe und für den ich mir jahrelang den Arsch aufgerissen habe und weiter aufreißen will.“
    „Aber du darfst nun mal keine Waffe mehr tragen, so ist die Vorschrift“, sagte Tom einfühlsam.
    „Weil ich im Rollstuhl sitze? Das ist doch gequirlter Mist! Diskriminierung von Behinderten nenne ich das.“ War es nicht, das war ihm klar. Sachlich betrachtet sprach die Vernunft gegen ihn. Doch nun, da er selbst betroffen war, sah er das anders. Die Hälfte seines Körpers lebte noch, sein Kopf funktionierte bestens. Aber gegen einen Flüchtenden oder einen Angreifer hatte er natürlich keine Chance. Tomasz, dem diese Gründe bewusst waren, zählte sie nicht auf, sondern schwieg. Daniel raufte sich die Haare. „Vollzugsunfähig, ich! Scheiße. Und das nicht einmal, weil ich im Dienst verletzt wurde.“
    Ohne zu trinken, stellte Tom sein Glas wieder ab, als wäre ihm durch den Verlauf des Gesprächs die Lust auf Cola vergangen. „Das hätte es auch nicht besser gemacht.“
    „Heroischer“, antwortete Daniel, ohne darüber nachzudenken.
    „Willst du damit etwa sagen – hätte dich ein Arbeitsunfall in den Rollstuhl gebracht, würdest du deine Querschnittslähmung stolz ertragen, wie eine Narbe, die dir im Krieg zugefügt worden ist und die allen zeigt, wie tapfer du gewesen bist?“ Tom tippte mit dem Finger gegen Daniels Schulter. „Diese Denkweise, Kumpel, ist krank.“
    Eine Weile dachte Daniel nach. Schließlich murmelte er: „Vielleicht sollte ich doch zum Psychodoc gehen.“
    Die Kellnerin kam, doch sie blieb wie erstarrt neben ihnen stehen und wagte kaum zu atmen, so schien es jedenfalls, denn nun legte Tomasz erst richtig los: „Du denkst, wenn du im Büro arbeitest, sitzt du nur faul auf deinem Arsch herum, aber du sitzt sowieso die ganze Zeit in deinem Rollstuhl, und Faulheit ist nichts, was ich mit Daniel Zucker in Verbindung bringe, also reiß dich zusammen und mach das, was du am besten kannst: Kriminelle aufspüren und hinter Gitter bringen.“
    Eine Pause entstand. Die Kellnerin stellte das Bier vor Daniel und eilte davon, ohne zu fragen, ob er etwas essen wollte.
    Überrascht schaute er Tom an. So ehrlich und geradeheraus hatte seit seinem Unfall niemand mit ihm gesprochen. Im Gegenteil, alle behandelten ihn wie einen Mensch aus hauchdünnem Glas, was ihn wahnsinnig machte. Deshalb war er jetzt beeindruckt. Endlich mal jemand, der ihm die Meinung geigte und ihn nicht behandelte, als könnte er zerbrechen, wenn man ihn härter anfasste oder Tacheles mit ihm redete.
    Er nahm die Flasche und hielt sie Tomasz hin. „Auf unsere Freundschaft.“
    „Auf unsere Freundschaft“, sagte Tom, nahm seine Coke und stieß mit ihm an.
    „Wir machen uns Sorgen um Ben.“ Während Daniel einen kräftigen Schluck nahm, wartete er auf eine Reaktion auf den Köder, den er ausgeworfen hatte, doch sie blieb aus. Daher fuhr er fort: „Benjamin Mannteufel, Maries Cousin.“
    „Ich weiß, wen du meinst.“ Mit der Zunge fischte Tomasz den verbliebenen Eiswürfel heraus und zerbiss ihn.
    Allein von dem Geräusch bekam Daniel Phantomschmerzen an seinen Zähnen. „Der Tod seiner Freundin Julia hat ihn sehr mitgenommen. Bisher gab es zumindest noch die

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