Leiden sollst du
heizt deinen Feuerstuhl an, um deine Armmuskulatur aufzubauen.“
„Danke, aber ich stemme zu Hause Gewichte.“
„Du musst auch mal aus deinem Käfig raus.“
„Ich bin hier, oder etwa nicht?“
Seufzend legte Tomasz seine Arme rechts und links auf die Rückenlehne der Bank, auf der er saß.
In all den Jahren, in denen sie zusammen im Kriminalkommissariat 11 arbeiteten, hatte er sich nicht verändert, fiel Daniel das erste Mal auf, und er beneidete seinen Freund darum. Sein Gesicht war rund und groß wie ein Basketball, aber er sah keineswegs schlecht aus, sondern war immer leicht gebräunt. Angeblich ging er nur einmal monatlich ins Solarium, doch Daniel nahm ihm das nicht ab. Er färbte seine Haare fast in demselben Ton wie Maries Lederstiefel. Cognacfarben nannte Marie das, Daniel erinnerte es eher an die Heilerde, die Benjamin vor Jahren auf seine Pickel geschmiert hatte. Meistens trug er Bluejeans, ein dezent kariertes Hemd und eine Jeansjacke, so auch an diesem Mittag. Daniel empfand eine Vertrautheit, durch die er sich in Toms Nähe wohlfühlte.
Außerdem war er der einzige Mensch neben Marie und seiner Mutter, der wusste, dass Daniel einmal selbst auf der Schwelle gestanden hatte, an der er sich für die helle oder die dunkle Seite hatte entscheiden müssen. Die Erinnerung lastete immer noch schwer auf ihm. Er wischte den Gedanken an den intensivsten Moment seines Lebens fort, doch ein Schatten haftete auf seiner Seele wie Teer und würde sich niemals abwaschen lassen.
Er wollte lieber an schöne Dinge denken, was aufgrund seiner Lähmung nicht einfach war, aber er bemühte sich – erfolgreich.
Mit einem Mal wurde ihm bewusst, dass alles, was er mochte, noch da war: Tomasz, Marie, Köln mit seinen vertrauten Straßen, der Duft nach leckerem Essen, das Lachen der Vierergruppe am Nachbartisch und sein Wunsch, wieder Teil all dessen zu sein. Bis jetzt hatte er sich als Außenseiter gefühlt. Er hatte gedacht, das Leben hätte sich verändert, aber das stimmte so nicht – nur er war ein anderer geworden. Wieder einmal. Aber konnte er zurück auf die Sonnenseite finden? Oder war dort der Boden zu uneben, um darauf mit seinem Chopper zu fahren?
Er hatte schon einmal geschafft, sich neu zu erfinden, damals, als sein Vater in Handschellen abgeführt worden war und er und seine Mutter vor dem Nichts gestanden hatten, aber diesmal war etwas anders: Seine Beine hingen wie totes Gewebe an seinem Oberkörper. Es existierten keine Superhelden im Rollstuhl.
„Woran denkst du?“, fragte Tomasz, und nippte an seiner Coke.
Daniel wachte aus seinen Gedanken auf und bemerkte erst jetzt, dass die Kellnerin neben ihm stand, ihr Kaugummi von einer Wange in die andere schob und ungeduldig mit einem Kugelschreiber auf ihren Block trommelte. Er bestellte ein alkoholfreies Kölsch und klopfte gegen seine Reifen. „Ich überlege, ob ich mir Stulpen für meine Räder zulegen soll, damit ich den Schmutz von draußen nicht in die Wohnung reinbringe. Es gibt tolles Zubehör für Krüppel-Harleys.“
Tom stellte sein Glas so energisch auf der Tischplatte ab, dass Daniel befürchtete, es könnte zerbersten. „Du solltest Gehbehinderte nicht als Krüppel bezeichnen.“
„Du bist doch sonst nicht so politisch korrekt.“ Daniels Lachen klang gekünstelt und steckte Tomasz nicht an. Also wurde er ernst. Seinem Freund konnte er eben nichts vormachen. „Ich nenne nur mich so, niemals andere Gelähmte, denn ich habe großen Respekt vor jedem, der sein Leben mit einer Behinderung meistert.“
Tom lehnte sich zurück und verschränkte seine Arme. Der Jeansstoff seiner Jacke spannte sich eng über seine Ellbogen. „Aber nicht vor dir selbst?“
„Ich meistere gar nichts“, brachte Daniel gepresst hervor und schaute sich um, ob jemand ihr Gespräch hören konnte, aber die anderen Gäste saßen zu weit weg. „Ich lebe ja nicht einmal richtig.“
„Dann ändere das. Du könntest zurück ins Polizeipräsidium kommen. Gute Polizisten sind dort immer gefragt.“
„Christian Voigt hat mich angerufen, aber das weißt du sicherlich.“
„Der Leiter der Direktion Kriminalität spricht nicht mit einem Oberkommissar über Personaldinge.“ Tom zwinkerte. „Wenn einer davon weiß, dann der Fuchs.“
Da hatte er recht, der Kriminaldirektor hatte garantiert mit Daniels Vorgesetzem, dem Ersten Kriminalhauptkommissar Karsten Fuchs, gesprochen, bevor er sich mit ihm, Daniel, in Verbindung gesetzt hatte. „Voigt hat mir angeboten,
Weitere Kostenlose Bücher