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Leiden sollst du

Leiden sollst du

Titel: Leiden sollst du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Wulff
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theoretische Möglichkeit, dass sie letztes Jahr auf der Party einfach nur mit einem Jungen durchgebrannt war und irgendwo ein schönes Leben führte, aber diese Hoffnung hat sich mit dem Fund ihrer Leiche endgültig zerschlagen.“
    „Bei der Befragung auf dem Revier schien er einen Schock zu haben.“
    „Routinebefragung“, stellte Daniel klar und schaute ihn aufmerksam an, um jede noch so kleinste Regung mitzubekommen. Aber Toms Pokergesicht bröckelte nicht. Das hatte er nicht beim Kartenspielen gelernt, sondern bei den Befragungen von Verdächtigen auf dem Polizeipräsidium. Er nickte lediglich zustimmend.
    Dann machte er doch einen Fehler.
    Er warf einen Blick zur Menükarte, die eingeklemmt zwischen Salz-, Pfefferstreuer und Zahnstochern in einem Gestell zwischen ihnen stand, nahm sie jedoch nicht, weil auch ihm klar war, dass Daniel das neben seinem Schweigen als Ablenkungsmanöver gewertet hätte.
    Daniels Skepsis wuchs. Was verheimlichte ihm sein Freund?
    Als Julia plötzlich verschwand, hatten die Kollegen von der Vermisstenstelle den Fall übernommen und nicht das KK 11, die Abteilung für Tötungsdelikte. Ohne Leiche oder den Hinweis auf eine Bluttat wurde keine Mordkommission einberufen.
    Angeblich hatte niemand gesehen, wie Julia betrunken in den Rhein gefallen war. Daniel erinnerte sich noch gut daran, wie er für Ben mit seinen Kollegen aus der anderen Abteilung darüber gesprochen hatte. Sie hatten lediglich vermutet, dass es sich so abgespielt haben könnte.
    Um herauszufinden, was wirklich geschehen war, hatten sie sofort nach Julias Verschwinden die Partygäste, die größtenteils aus Hausbesetzern, Studenten und Jugendlichen bestanden, befragt und die Location nach Spuren untersucht. Recht erfolglos. Die einen wollten das Mädchen in den Armen von gleich zwei Männern gesehen haben. Die anderen behaupteten, sie hätten beobachtet, wie sie heulend durch das verwilderte Grundstück, das sich auf der Rückseite des heruntergekommenen Gebäudes bis hinab zum Ufer erstreckte, taumelte. Wieder andere glaubten, sie sei früh heimgefahren, weil sie sich von einem „alten geilen Bock“ belästigt gefühlt hatte. Aber da Alkohol und Drogen konsumiert wurden, hatten die Ermittler die Aussagen als wenig zuverlässig eingestuft, dennoch waren sie ihnen nachgegangen, ergebnislos. Einige der Zeugen hatten Julia nicht einmal auf einem Foto wiedererkannt.
    Nun ergriff Tomasz die Speisekarte doch. Er schlug sie auf und tat so, als würde er darin lesen. Da er sprach, wusste Daniel, dass er es nicht tat. „Ich habe ihm die Adresse eines Psychotherapeuten, der sich auf Viktimologie spezialisiert hat, gegeben, aber er lehnte ab, ihn auch nur zu einem Vorgespräch aufzusuchen.“
    Im ersten Moment nahm Daniel sich vor, Ben ins Gewissen zu reden, doch dann schalt er sich einen Narren. Wie konnte ein Esel einen anderen davon überzeugen, weniger stur zu sein? Das war unmöglich, geradezu lächerlich.
    „Warst du auch auf Julia Kranichs Beisetzung?“, fragte er, um Tom aus der Reserve zu locken. Marie hätte ihn zwar erkannt, aber vielleicht hatte sie ihn aufgrund der viele Menschen, die das Mädchen auf ihrem letzten Weg begleitet hatten, nur nicht entdeckt.
    Sein Gegenüber sah auf. „Nein, war ich nicht. Warum sollte ich?“
    Daniel kannte diesen Blick von der Befragung Verdächtiger, die etwas verbargen. Auch Tomasz hatte seine Mimik eingefroren, damit kein Zucken der Mundwinkel oder kein Blinzeln ihn verriet, doch ebenjene bemüht emotionslose, völlig unnatürliche Maske und die verkrampfte Sitzhaltung ließen Daniel erahnen, dass Tom etwas vor ihm zurückhielt.
    „Natürlich nicht. Du hattest ja die Befragungen durchgeführt. Auf dem Friedhof wärst du wiedererkannt worden, daher hat der Fuchs andere Kollegen hingeschickt und einen Fotografen, der Bilder von der Trauergemeinde schoss.“ Zufrieden mit seiner Analyse der Situation schlang er seine Finger ineinander. „Das kann nur bedeuten, dass ihr gehofft habt, jemand würde sich auffällig verhalten, indem er plötzlich zusammenbricht, hysterisch herumschreit oder auch völlig teilnahmslos dabeisteht. Vielleicht habt ihr auch auf einen Streit unter den Anwesenden gewartet. Um einen Hinweis auf was zu finden?“
    Zähneknirschend legte Tomasz die Karte weg, nahm sein Handy aus der Jackentasche und schaute kurz darauf, als suchte er nach einer Ausrede, gehen zu müssen. Er steckte es wieder weg und blieb Daniel eine Antwort schuldig.
    Dessen Haut

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