Leiden sollst du
und sich zu Hause zu verkriechen. Aber Aufgeben kam für ihn eigentlich nicht infrage. Damit käme er noch weniger zurecht. Das wusste er vom Sport, aber auch von den ungelösten Fällen des KK 11. Sie nagten an ihm, jeder einzelne. Wie Stacheln saßen sie in seinem Fleisch. Es ging ihm nicht darum, zu gewinnen, sondern etwas bis zum Schluss durchzuziehen, und dazu gehörte nun mal, dass der Böse inhaftiert wurde.
Als Daniel ins HRC hineinrollte, geschah genau das, was er nicht wollte. Alle starrten ihn an. Sie musterten ihn und seinen Bock. Was dachten sie wohl in diesem Augenblick? Der arme Kerl! Womit hat er das verdient? Was ist ihm zugestoßen? Welche Scheiße hat er verbockt, um derart bestraft zu werden?
Daniels Hände krallten sich um die Greifringe. Er war sauer auf die Gaffer und öffnete den Mund, um ihnen einen Spruch zu drücken. Doch sie beachteten ihn längst nicht mehr, blickten aus dem Fenster oder führten die Gespräche mit ihren Freunden fort. Dadurch wurde Daniel bewusst, dass er in Wahrheit nur sein Schamgefühl durch Wut, die nun augenblicklich verpuffte, überspielen wollte.
Nur eine Frau sah ihn noch an. Wie dreist, dachte er.
Ihre langen schwarzen Haare flossen wie Teer über ihre linke Schulter. Daniel stand nicht auf Brillen, aber er fand, dass das Modell mit der dicken schwarzen Fassung zu ihr passte. Der blutrote Lippenstift war der einzige Farbtupfer in ihrem Gesicht.
Griesgrämig biss er seine Zähne zusammen, bis seine Kiefer schmerzten. Gleich würde sie weggucken, da er sie beim Starren ertappt hatte. Zu seinem Erstaunen tat sie das jedoch ganz und gar nicht, sondern sie lächelte ihn an.
Das war das Letzte, mit dem er gerechnet hatte!
Seine Wangen brannten, bestimmt waren sie genauso rot wie der Mund der Fremden. Es war nicht sie, sondern Daniel, der wegschaute, weil es ihn verlegen machte, dass sie mit ihm flirtete. Er war doch kein richtiger Mann mehr, sondern vielmehr eine Last.
Kauf dir eine stärkere Brille, dachte er, siehst du nicht, was mit mir los ist? Erneut schielte er zu ihr, nicht etwa, weil sie ihm gefiel, sondern weil ihre Reaktion ihm schmeichelte.
Lachend senkte sie ihren Blick, um ihn dann erneut auf Daniel zu richten.
Mit einem Mal wurde Daniel heiß und er ertappte sich dabei, wie er dämlich grinste. Plötzlich fühlte er sich erleichtert, ja, geradezu ... gut.
Es gab also auch Menschen, die sein Rolli nicht störte. Die Kommentare von Marie, seiner Mutter und seinen Ärzten zählten nicht, sie sollten ihn lediglich aufmuntern. Was die Weißkittel schwatzten, war ohnehin Heuchelei. Wie konnte sie behaupten, alles würde wieder gut werden, man könnte auch als Gehbehinderter ein erfülltes Leben führen, wenn sie selbst von einem solchen Schicksalsschlag verschont geblieben waren?
„Diese Quacksalber können mir den Buckel runterrutschen“, sagte er zu sich selbst und machte sich auf zu Tomasz, der auf der anderen Seite des Eingangs saß, und ihn zu sich winkte. Die Chirurgen hatten ihm nicht helfen können, warum sollten es die Psychotherapeuten? Er wollte ihr vorgetäuschtes einfühlsames Geschwafel nicht hören.
Als er die Hand seines Kollegen und Freundes schüttelte, spürte er die Hornhaut an seiner eigenen Innenfläche. Vielleicht sollte er doch spezielle Rollstuhlhandschuhe kaufen. Sie waren entweder aus weichem Leder oder Neopren, manchmal mit Geleinlagen versehen und schützten nicht nur, sondern verbesserten auch die Zugkraft. Denn er würde eher tot umfallen, als einen Elektrostuhl zu benutzen.
Bisher hatte er sich gegen Hilfsmittel gewehrt, weil er trotz Behinderung kein Warmduscher war. Er war ganz unten, das auf jeden Fall, aber wie er in Momenten wie diesem feststellte, hatte er noch nicht jeglichen Stolz verloren. Er war noch lange nicht am Ende.
„Dir geht es anscheinend besser als bei unserem letzten Treffen vor ... Das dürfte Monate her sein, irgendwann im Sommer, nach deiner Entlassung aus der Spezialklinik.“ Tomasz kniff in seine eigene Wange. „Du hast eine gesunde Farbe.“
Aus Reflex hätte sich Daniel beinahe zu der Schwarzhaarigen herumgedreht, aber er hielt sich in letzter Sekunde davon ab. „Es ist ganz schön anstrengend, einen Sulky ohne Pferde zu fahren.“
„Du solltest mit mir laufen gehen, aber das habe ich dir ja schon ein paar Mal vorgeschlagen.“
„Laufen?“ Daniel schnaubte. „Du joggst und schiebst mich vor dir her wie einen Kinderwagen?“
Tomasz verdrehte seine Augen. „Ich renne und du
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