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Leiden sollst du

Leiden sollst du

Titel: Leiden sollst du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Wulff
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Kampf gewesen. Und war es noch immer.
    Denis hatte sich über den Namen lustig gemacht: „Kobold? Stammt er aus einem dieser superdämlichen Fantasyfilme? Du weißt schon, in denen Kinder durch ein Arschloch in eine Parallelwelt gelangen.“ Er war der Einzige, der über seinen Witz gelacht hatte. Dabei hatte er gesabbert wie der Bernhardiner des Nachbarn aus dem Erdgeschoss, sodass Ben zurückgetreten war, um seine Ratte zu schützen. „Aus dem Alter sind wir raus.“
    „Der Name ist nicht kindisch, sondern schwul“, hatte Maik gesagt, aber Ben war die Meinung seiner beiden besten Freunde egal. Er nannte seine Ratte, wie er es wollte, und Kobold passte eben zu seinen großen roten Augen. Wenn diese ihn direkt ansahen, hatte Ben das Gefühl, dass das Tier ihn verstand.
    Wie ein Spion in den eigenen vier Wänden öffnete er leise seine Zimmertür und spähte durch einen Spalt in den Korridor hinaus.
    Nicht die Polizei.
    Erleichtert atmete er aus und merkte erst jetzt, dass er angespannt die Luft angehalten hatte. Es war nur Marie, die hereinkam und ihrer Mutter Irene durch den Gang folgte. Die Wangen seiner Cousine waren gerötet und sie hielt ihre Handtasche so fest in ihren Händen, dass es wirkte, als würgte sie das Leder.
    „Pst“, machte er leise, doch sie hörte ihn nicht, sondern bog bereits ins Wohnzimmer ab, in dem seine Mutter hilflos im Ohrensessel saß und sich sorgte, weil die Staubschicht auf Fernseher, Regal und Sideboard stündlich dichter wurde und sie nichts dagegen machen konnte.
    Ihm blieb nichts anderes übrig, als zu den Frauen zu gehen, um auf eine Chance zu lauern. Aus der Küche roch es nach Kaffee, die Maschine presste lautstark Wasser durch den Filter. Er stellte sich in den Türrahmen, die Hände in die Hosentaschen gesteckt, und überlegte, wie er Marie zur Seite nehmen konnte. Denn er musste dringend mit ihr sprechen. Er brauchte ihre Hilfe. Musste sie einweihen. Aber er durfte nicht das gesamte Puzzle aufdecken, sondern ihr nur ein einziges Teilchen zeigen. Er wollte es nicht, aber man zwang ihn dazu. Sonst würde alles noch schlimmer werden.
    „Musst du dieses Vieh mit herbringen?“, fuhr seine Mutter ihn aus dem Sessel an. „Irene ekelte sich davor, das weißt du doch.“
    Wie zum Beweis verzog seine Tante, die ihr gegenüber auf der Couch saß, angewidert ihr Gesicht. Benjamin versuchte sich seinen Spaß nicht anmerken zu lassen. Manchmal liebte er es zu schockieren, ganz besonders seine steifen Verwandten.
    „Kaum hört Ben deine Stimme, Marie, kommt er aus seinem Zimmer. Mir hilft er nur, wenn ich ihn rufe, ansonsten lässt er mich alleine“, rügte ihn seine Mutter, lächelte jedoch im nächsten Moment schon wieder.
    Selbst wenn sie ihm etwas übel nahm, konnte sie nicht ernsthaft böse auf ihn sein. Das machte es für Benjamin leichter, sich gegen sie aufzulehnen, aber manchmal wünschte er sich, sie würde strenger durchgreifen. Hätte sie zum Beispiel durchgesetzt, dass er kein Smartphone bekam, sondern ein normales Handy reichte, hätte er keine GPS-App herunterladen können und wäre nicht in diese Scheiße hineingeraten.
    „Ich muss Hausaufgaben machen. Tante Irene war doch bei dir.“ Obwohl er von ihr sprach, schaute er sie nicht an, denn ihr vorwurfsvoller Blick ließ ihn frösteln. Das hatte sie wirklich drauf. Manchmal fragte er sich, wie zwei Schwestern so unterschiedlich sein konnten. Wäre seine Mutter eine strenge Matrone wie Irene Bast, wäre er wohl an seinem achtzehnten Geburtstag ausgezogen. Arme Marie! Er hatte zum Glück den mütterlich warmen Typ abbekommen, aber umso mehr tat es ihm weh, dass man sie verletzt hatte.
    Er verhielt sich wohl in letzter Zeit ein wenig schräg. Das sah er ein, konnte es aber nicht ändern. Seine Mutter hatte ihm vorgeworfen, gleichgültig gegenüber allem zu sein, selbst was den Unfall mit Fahrerflucht, in den sie verwickelt gewesen war, betraf, doch das war so ungefähr das Gegenteil von dem, was in ihm vorging.
    Er ertrug es nicht, ihren Gips zu sehen und zu wissen, dass ihre Knochen darunter angebrochen waren. Die grün-blauen Flecken, die ihre ganze rechte Seite überzogen, ließen Tränen in seine Augen steigen. Sich vorzustellen, wie der Wagen seine Mutter weggeschleudert hatte, machte ihn gleichzeitig wütend und schwermütig, weil er sie nicht davor hatte bewahren können.
    Deshalb sah er sie kaum noch an. Darum sprach er selten. Das waren die Gründe, wieso er sich in seinem Zimmer verkroch. Nicht etwa weil

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