Leiden sollst du
aufzusuchen.
Nein, von Daniel konnte sie keine Unterstützung erwarten. Eher würde er alles daransetzen, sie von eigenmächtigem Handeln abzuhalten, und vielleicht würde er sogar mit den allerbesten Absichten selbst seine Kollegen einschalten, um Ben, seine Familie und Marie zu schützen.
Dadurch, dass sie nichts über den Patron wussten, war dieser eine unkalkulierbare Gefahr.
Aber war das Risiko, dass er vollkommen durchdrehte, nicht größer, wenn sie professionelle Hilfe suchten? Indem Benjamin seine Anweisung missachtete, machte er alles nur noch schlimmer, wo sein Gegner doch so erpicht darauf war, dass seine Regeln eingehalten wurden. Aber alleine waren sie dem Problem nicht gewachsen.
Offenbar bemerkte Ben ihren Zwiespalt. „Bitte, Marie, du musst das unbedingt für dich behalten. Julia wurde mir schon genommen, ich möchte nicht noch mehr Menschen, die mir etwas bedeuten, verlieren.“
Marie horchte auf. „War ihr Tod etwa eine Rache des Patrons?“
Seine Miene verzerrte sich vor seelischem Schmerz. Er schüttelte den Kopf. Seine Augen glänzten feucht.
Wenn sie darüber nachdachte, war die Idee, es könnte ein Zusammenhang bestehen, an den Haaren herbeigezogen, schließlich hatte Julia Kranich nicht zu Bens Familie gehört. Aber dann fiel ihr eine andere Möglichkeit ein. „Hat sie auch mit GeoGod gespielt?“
Zögerlich antwortete er: „Weiß nicht.“
Konnte sie ihm glauben oder verschwieg er etwas? „Ihr Bruder vielleicht?“
Womöglich hatte er mehrere Caches nicht gefunden und der Gamemaster hatte ihm als Strafe seine Schwester genommen. Sie erinnerte sich an das Begräbnis und dass Markus Kranich nicht nur traurig, sondern auch wütend dreingeblickt hatte. Hatte er etwa Julia auf dem Gewissen? Richtete sich sein Zorn auf den Patron oder sogar auf sich selbst? Aber spielte ein Mann mit Ende zwanzig, der sich so adrett kleidete wie er, Geocaching?
„Das weiß ich wirklich nicht.“ Bevor sie weiter nachbohren konnte, sagte er erneut etwas, das sie schockierte: „Ich habe Angst, dass Spuren von mir in dem Wagen gefunden werden, sollten die Bullen ihn jemals ausfindig machen.“
„In dem Auto, das deine Mutter angefahren hat?“ Sie konnte kaum glauben, was sie da hörte.
„Um mich noch mehr in die Scheiße reinzureiten.“
Sie stand auf, streckte ihre Beine, die vom Hocken eingeschlafen waren, und schüttelte sie, um die Blutzirkulation anzuregen.
Um an Benjamins Fingerabdrücke oder gar seine DNA zu kommen, brauchte der Patron nicht einmal ins Haus der Mannteufels einzubrechen, denn er besaß ja die Gegenstände, die Ben in die Schatzkisten gelegt und im Schließfach deponiert hatte. Wenn sie so darüber nachdachte, kam sie zu dem Schluss, dass der Unbekannte das alles von Anfang an geplant haben musste. Aber was wollte er von Benjamin? Oder ging es ihm gar nicht um den Jungen, sondern war Ben nur ein Opfer unter vielen? Erregte es GeoGod, seine Spieler langsam, aber systematisch und grausam zu zerstören?
Oh mein Gott, dachte Marie, in was war Ben da nur hineingeraten? Erschöpft setzte sie sich neben ihn auf sein Bett. Kobold schnupperte an ihren Fingern. Zärtlich streichelte sie über das Köpfchen der Ratte. Aus dem Wohnzimmer drangen die Stimmen von ihrer Mutter und ihrer Tante zu ihnen. Sie diskutierten lautstark über etwas.
Benjamin räusperte sich. „Da ist noch etwas.“
„Was denn noch?“ Nahmen die Hiobsbotschaften denn gar kein Ende?
Nervös, so schien es Marie, schob er den Jeansstoff seiner Hose zusammen und knibbelte an der entstandenen Falte. „Ich brauche deine Hilfe, um den nächsten Cache zu bergen.“
„Was soll das heißen?“ Sollte sie etwa etwas Illegales für ihn tun?
„Diesmal soll ich die ganze Schatzkiste aus dem Versteck holen. Das schaffe ich nicht alleine.“
„Weil sie so schwer ist?“
„Weil ich Angst habe.“
Seine Antwort machte sie einen Moment sprachlos. Dass er sich fürchtete, war ihr schon klar. Dies allerdings offen aus seinem Mund zu hören bestürzte sie. Der neue Auftrag des Patrons musste es in sich haben. „Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen. Wo soll sie versteckt sein?“
Seufzend strich er seine Jeans glatt und krallte seine Finger um seine Knie. „Im Römisch-Germanischen Museum neben dem Dom.“
„Das kann nicht dein Ernst sein.“ Sie drehte sich zu ihm. Am liebsten hätte sie ihn geschüttelt und gefragt, ob er noch ganz bei Trost war, aber das hätte weder ihm noch ihr genutzt. „Das ist
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