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Leiden sollst du

Leiden sollst du

Titel: Leiden sollst du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Wulff
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Haare.
    Sachte drückte sie seine Schulter. „Ben, verdammt, rede!“
    „Weißt du, was Geocaching ist?“
    „Eine moderne Form der Schnitzeljagd.“ Sie hatte schon Berichte darüber gelesen und Dokumentationen gesehen. Das lag zwar schon etwas zurück, aber sie erinnerte sich noch vage daran.
    Er nickte. „Man bekommt durch ein Internetportal Koordinaten oder Rätsel, deren Auflösung einem verraten, wo man hingehen muss. Das Ziel ist es, einen Schatz – den Cache – zu finden.“
    „Schön und gut“, sagte sie ungeduldig. „Aber was hat das mit Heide zu tun?“
    Er brach eine gehärtete Schlammkruste von seinem Turnschuh ab, drehte sie eine Weile zwischen Daumen und Zeigefinger und warf sie in den Mülleimer unter seinem Schreibtisch. Doch er verfehlte sein Ziel. Der Dreckklumpen fiel daneben, aber Ben hob ihn nicht auf. „Ich habe versagt.“
    „Ich verstehe gar nichts.“
    „Da ist diese Website und dieser wirkliche coole Gamemaster GeoGod, zumindest dachte ich, er wäre cool.“
    Seine Gedankensprünge brachten sie durcheinander. Es war fast so, als kreiste er absichtlich um die Wahrheit. Weil er sich schämte, einen schweren Fehler begangen zu haben? Weil er Angst hatte, darüber zu sprechen? „GeoGod?“ Das klang verrückt. Und nicht gerade nach Bescheidenheit.
    Ben starrte die Erdkrume an, als erwartete er, dass sie sich jeden Moment bewegte. „Er leitet das Spiel, zu dem nur die Besten zugelassen werden.“
    Ein Köder, erkannte Marie und stöhnte innerlich. Viele Jugendliche wünschten sich, einmal im Leben ganz oben und etwas Besonderes zu sein. Deshalb strebten sie zum Beispiel danach, zur beliebtesten Clique an der Schule zu gehören, oder nahmen an erniedrigenden Gesangscastings im Fernsehen teil, in denen sie in Wahrheit nur für Quoten verheizt wurden.
    „Seine Version von Geocaching ist ein wenig anders. Aufregender. Es reicht nicht, dass man einen Gegenstand aus der Schatzkiste entnimmt und etwas von sich hineinlegt.“
    Noch immer hörte sie seine Euphorie heraus. „Sondern?“
    „Erst forderte der Gamemaster einen Fotobeweis für meinen Sucherfolg, dann musste ich die Trophäe in einem Schließfach deponieren. Damit wurde alles zum Abenteuer, irgendwie zu einem Agententhriller, auch wenn das vielleicht blöd klingt. Da war jemand, der mir Aufträge gab, der mir antwortete und der sich für mich interessierte.“ Er ließ seinen Kopf hängen. „Dabei vergaß ich, dass ich gegen GeoGod spielte, nicht mit ihm.“
    Es tat Marie weh, ihren Cousin am Boden zu sehen. Aber Mitleid half ihm nicht weiter. Vielmehr musste sie herausfinden, ob dieser ominöse Fremde tatsächlich hinter Heides Unfall steckte. Vielleicht hatte Julias Verschwinden und der Fund ihrer Leiche Bejamin derart aufgewühlt, dass er Zusammenhänge sah, wo keine waren. „Musstest du dich auf der Homepage registrieren? Hatte er deine Adresse?“
    „Alles war anonym.“ Er saugte seine Unterlippe ein und kaute darauf herum. „Aber ich glaube, er ist mir einmal vom Hauptbahnhof aus gefolgt.“
    Maries Puls beschleunigte sich. „Hast du den Mann gesehen?“
    Fest trat Benjamin auf den Schmutzklumpen neben dem Abfalleimer, als wollte er ein Insekt tottreten. Als er seinen Fuß wegnahm, kam ein knopfgroßer sandbrauner Fleck zum Vorschein. „Nein, es ist mehr so ein Gefühl, beobachtet zu werden.“
    Deshalb verhielt er sich also so komisch. Marie kam zu dem Schluss, dass sein seltsames Verhalten in letzter Zeit gar nichts mit Julia zu tun hatte. Sein Problem lag woanders. Bei einem Fremden, der sich als Gott bezeichnete und vermutlich wusste, wer Benjamin war und wo er wohnte.
    Plötzlich befürchtete sie, dass sie ihm nicht helfen konnte, dass diese Sache eine Nummer zu groß für sie beide war. Es ging schließlich nicht um Trauerbewältigung oder die banalen Probleme eines Heranwachsenden, sondern um eine Straftat. Was Ben dann sagte, erschütterte Marie.
    „Er wollte, dass ich den Bullterrier töte.“ Als versuchte er, vor seinen eigenen Worten davonzulaufen, stand er abrupt auf, nahm Kobold, der mittlerweile durch das Regal turnte, und streichelte mit der Nasenspitze durch sein Fell.
    Töten? Sie schnappte nach Luft. „Welchen Bullterrier?“
    „Beim letzten Cache war ein Köter. Er hat mich über den Schrottplatz gejagt. Sein Gebiss war so groß wie eine dieser Bärenfallen, ich schwör’!“ Um seine Aussage zu unterstreichen, kreuzte er Zeige- und Mittelfinger. „Er hat nach mir geschnappt, hat mich

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