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Leiden sollst du

Leiden sollst du

Titel: Leiden sollst du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Wulff
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fragte, ob er tatsächlich so abgebrüht wäre, in einen Sarg hineinzukriechen. Das passte nicht zu ihm, daher vermutete sie, dass seine absonderlichen Einfälle auf reiner Verzweiflung basierten.
    Doch er hörte nicht auf sie, sondern ging an ihr vorbei und beäugte die Wärterin, die inzwischen mit einem Kollegen im Eingang zum Aufenthaltsraum des Wachpersonals plauderte, mit einem verkniffenen missmutigen Blick, der Marie eine Gänsehaut über den Rücken jagte. So stellte sie sich GeoGod vor. Wütend, bereit alles zu opfern, um zu gewinnen und sich nur seinen eigenen Regeln beugend. Wollte er, dass Ben wie er wurde, war das der Plan hinter seinem Spiel?
    „Lass uns erst einmal nachschauen, ob wir den Cache sehen, dann überlegen wir weiter.“ Sie bemühte sich, begeistert zu klingen, aber Benjamin sprang nicht auf ihren Vorschlag an. Immerhin folgte er ihr zum Sockel, der nicht unmittelbar an der Wand stand, sodass man den Schatz in den Spalt hätte schieben können. Dort fanden sie ihn jedoch nicht. Auch im Kies konnten sie keinen Hinweis darauf entdecken, dass der Cache vor dem Monument vergraben worden war.
    Angst breitete sich in Marie aus. Was würde geschehen, wenn sie ihn nicht fanden?
    Plötzlich glaubte Marie, ein bleiches Gesicht unter dem Kies auszumachen. Hatte der Patron gar keine Kiste vergraben, sondern eine Leiche? Lebte die Frau noch? Sie kam Marie beunruhigend bekannt vor. Nach Luft schnappend griff sie das Geländer so fest, dass ihre Gelenke weiß hervortraten. Im letzten Moment konnte sie sich davon abhalten, auf die Steine zu springen und wie wild zu graben. Sie kniff ihre Augen zusammen und sah noch genauer hin. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt.
    Erleichtert erkannte sie, dass da nichts war, ihre Furcht hatte ihr lediglich einen Streich gespielt. Für einige Sekunde hatte Marie geglaubt, der Leichnam ihrer Tante Heide läge vor dem Grabmal vergraben.
    Sie mussten die Schatzkiste finden. Koste es, was es wolle!
    Ihr Puls raste immer noch. Sie schwitzte, zog ihren Blazer aus und band ihn um ihre Hüften. Es war ihr sogar egal, dass die Ärmel knitterten, so aufgeregt war sie.
    War Benjamin eben noch euphorisch gewesen, so wirkte er nun in sich gekehrt. Ihn schien der Mut zu verlassen. Als sie ins erste Obergeschoss zur Ausstellung Schatzkammer, Urgeschichte und römische und fränkische Epoche stiegen, um die Zwischenräume der Grabturmsäulen einer Sichtprüfung zu unterziehen, murmelte er: „Sind hier immer mehr Wärter als Besucher?“
    Tatsächlich war unangenehm viel Wachpersonal im Einsatz, auch Marie fiel das auf. Nun rächte sich ihr Vorschlag, gegen Ende der Öffnungszeiten ins Museum zu gehen. Je weniger Menschen, desto geringer ist die Chance, erwischt zu werden, hatte sie gedacht. Doch sie hatte nicht mehr in Erinnerung gehabt, wie viele Sicherheitskräfte im Einsatz waren. Durch die wenigen Besucher fielen Marie und Ben mehr auf.
    Auch zwischen den Figuren des Poblicius-Grabmals erspähten sie keine Kiste. Erneut schaute Benjamin sich nach einem Versteck für die Nacht um, aber diesmal wirkte er verzweifelt. Seine Hektik fiel einem grauhaarigen Wachmann auf, wohl auch, weil Ben nicht in die Vitrinen guckte, sondern dahinter, als würde er Ostereier suchen. Sein Desinteresse an der Sammlung war zu offensichtlich.
    Marie versuchte, flach zu atmen. Noch hatten sie nichts verbrochen. Aber wenn man sie hinauswarf, musste Benjamin dem Patron eine weitere Niederlage gestehen und womöglich gab es schon morgen ein Mordopfer, das nicht nur Ben, sondern auch Marie nahestand.
    In ihrer Jackentasche ballte sie die Hand zur Faust. Sie musste sich zusammenreißen, denn ihr Cousin schien nicht mehr in der Lage dazu zu sein. Er schritt eilig von einem Schaukasten zum nächsten, stolperte dabei über seine eigenen Füße und wäre der Länge nach hingefallen, hätte Marie ihn nicht in letzter Sekunde aufgefangen. Sein Brustkorb hob und senkte sich rasch.
    Marie riss ihn in ihre Arme und hielt ihn einen Moment fest an sich gedrückt. „Scht“, machte sie und strich über seinen Rücken.
    Der betagte Security Guard tat so, als würde er ziellos umherwandern, aber er behielt sie im Auge.
    Ben überragte Marie um einen Kopf. Schluchzend machte er sich los. Doch er sah nicht sie an, sondern in eine Glasvitrine hinter ihr. Keuchend rieb er über seine Wange, als wischte er sich Tränen ab. Hatte er den Cache gefunden?
    Aufgewühlt drehte sich Marie um – und schnaubte enttäuscht.

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