Leiden sollst du
Kriminelle zur Wache brachten, weil Irene und Rainer Bast aus allen Wolken gefallen wären und Marie für den Rest ihres Lebens vorgehalten hätten, den Leumund der Familie beschmutzt zu haben.
Und dass Daniel nichts von diesem Desaster mitbekam. Das war zum Glück eher unwahrscheinlich, da er aus Scham den Kontakt mit seinen ehemaligen Arbeitskollegen mied wie der Teufel das Weihwasser.
10
Als Daniel seinen Rollstuhl in das Zimmer schob, fiel Marie wortwörtlich die Kinnlade runter.
Die Kollegen vom Polizeirevier hatten sie in ihren kleinen Aufenthalts- und nicht in den Verhörraum gesetzt, wohl aus Respekt vor ihm. Der Polizist bei ihr, ein kleines Kerlchen mit Schuppen auf den Schultern, stand hektisch von seinem Stuhl auf, nickte Daniel zu und ließ sie alleine.
„Was zum Henker hast du angestellt?“
Sie verschränkte ihre Arme vor dem Körper wie einen Schutzschild. „Und wie zum Himmel hast du davon erfahren?“
„Ich habe Tomasz im Polizeipräsidium besucht. Kollegen von der Polizeiinspektion Mitte hatten mich im Foyer gesehen und tratschten munter herum, dass der Freak zurück sei.“ Mit einem ironischen Lächeln auf den Lippen tätschelte er die Reifen seines Choppers. „Ich bin eine Sensation.“
Marie neigte sich vor und brachte gepresst hervor: „Nicht du, sondern dein Rolli.“
„Autsch.“ Daniel war auf der Hut, seine Frau war schlecht gelaunt. Trotzdem würde er sie nicht mit Glacéhandschuhen anfassen, denn sie hatte Mist gebaut.
Heimlich jedoch liebte er sie dafür noch mehr. Ihre versnobten Eltern hatten ihr eingetrichtert, immer perfekt sein und den schönen Schein wahren zu müssen. Umso mehr freute es ihn, wenn zum Beispiel Marmelade an ihrem Kinn klebte und sie es nicht merkte. In solchen Momenten wartete er einige Minuten, bevor er sie darauf hinwies, nicht etwa, um sie zu ärgern, sondern weil dieser Fleck auf ihrer ansonst perfekten Fassade sie nur reizvoller für ihn machte. Diesmal jedoch war die Sache ernster. „Was ist im Römisch-Germanischen Museum nur passiert?“
„Tut mir leid“, lenkte sie kleinlaut ein. Nervös drehte sie den leeren Kaffeebecher in ihrer Hand.
Nur mit Mühe unterdrückte er ein Schmunzeln. „Zu randalieren sieht dir gar nicht ähnlich.“
„Ich habe nicht ...“ Empört schnappte sie nach Luft.
„Warum bist du dann vor den Wärtern davongelaufen?“
Sie zögerte, als wäre sie unsicher, wie sie weiter vorgehen sollte. Umständlich band sie ihre schulterlangen krausen Haare im Nacken neu zusammen, schaute ihn unsicher mit ihren großen grünen Augen an und holte schließlich ein Smartphone aus der Tasche ihres Blazers. Während sie ihre Unterlippe einsaugte, schloss sie eine App mit einer Art Landkarte und zeigte ihm einen Schnappschuss. „Ich habe nur ein Ausstellungsstück fotografiert und dachte, das wäre verboten.“
Daniels Augen weiteten sich. Er konnte kaum glauben, was er auf dem Bild sah, und kam mit dem Gesicht näher heran. Seine Mundwinkel zuckten. „Männliche Geschlechtsteile?“
Augenblicklich wurde sie rot, schaute auf das Foto, als würde sie es das erste Mal sehen, und legte das Telefon mit dem Display auf den Tisch. „Antike Anhänger.“
Die metallic blaue Hülle kam Daniel bekannt vor. „Ist das Benjamins Phone?“
Marie wollte es wieder an sich nehmen, aber Daniel war schneller. Warum trug sie Bens Handy bei sich, wo die Finger des Jungen doch beinahe daran festgewachsen waren? Freiwillig hatte er es ihr bestimmt nicht überlassen. Hatte sie es heimlich genommen, weil sich etwas darauf befand und sie beunruhigte? Unweigerlich musste Daniel an Julia Kranich denken.
Stirnrunzelnd untersuchte er das Telefon. Er fand nichts Auffälliges. Dann erinnerte er sich an die Landkarte, die geöffnet gewesen war, als Marie das Smartphone hervorgeholt hatte, und öffnete die GPS-App, die ihr Cousin brauchte, um seinem Hobby Geocaching nachzugehen. Er rief die Anwendung auf. Die Koordinaten, die eingegeben waren, zeigten auf einen Punkt im Museum. Er glaubte kaum, dass Marie sich mit der App auskannte. Daher lag eine Vermutung nahe.
„Benjamin war der Junge, den der Sicherheitsmann von dem antiken Reisewagen runtergescheucht hat!“ Ihr Cousin war der Letzte, den er im Museum erwartet hätte. Er passte dort so gut hin wie Marie in Daniels Stammkneipe. „Was wolltet ihr dort? Erzähl mir keine Ausreden. Da ist etwas im Busch.“
Da Marie zauderte, fuhr er neben ihren Stuhl. Sanft nahm er ihre Hand und strich
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