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Leiden sollst du

Leiden sollst du

Titel: Leiden sollst du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Wulff
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näher als zwei Schritte heran.
    Wie aus weiter Ferne hörte er Marie sagen: „Spuren, die nicht von der Strömung des Rheins stammen.“
    Besorgt taumelte er durch sein Zimmer und suchte nach Kobold. Pot machte das manchmal mit ihm, aber für gewöhnlich fühlte es sich toll an, als würde er auf Watte gehen, nun war es ihm, als ginge er auf rohen Eiern. „So?“
    Maries Stimme wurde immer sanfter. Sie säuselte fast wie der Wind im letzten Italienurlaub, der die Hitze abgemildert und ein Sonnenbad erst erträglich gemacht hatte. „Julia ist nicht in den Fluss gefallen, jemand hat sie hineingeworfen.“
    Sie hatte nicht „gestoßen“ gesagt, fiel ihm auf. Scheinbar wusste sie mehr, womöglich sogar zu viel. Zu seiner Überraschung wurden seine Augen feucht. Das letzte Mal geweint hatte er nach der Party in Porz. Wochenlang. Bis er leer gewesen war. Er wollte den Kummer nicht zurück. Innerlich wehrte er sich dagegen, er wollte auflegen, damit Marie schwieg, aber er brachte es nicht fertig.
    „Ihr wurde Gewalt angetan. Sie starb keines natürlichen Todes.“
    Warum sagte sie es nicht freiheraus? Dachte sie, er würde an der Wahrheit zerbrechen? Sollte er das? Warum war er das nicht längst? Die Tränen, die über seine Wangen liefen, spülten seine Schuldgefühle nicht weg. Trotzdem war er froh, endlich wieder weinen zu können. Als wäre eine Blase in seinem Inneren aufgeplatzt, die sich über Monate gefüllt hatte, floss das Wasser in Strömen hinab, lautlos, als stände es Benjamin nicht zu, herzzerreißend zu schluchzen.
    Er schmeckte Galle auf der Zunge und wusste, was das zu bedeuten hatte.
    „Bis gleich“, verabschiedete er sich rasch und klang gefasster, als er war. So schnell er konnte riss er den Mülleimer unter seinem Schreibtisch heraus und kotzte sich die Seele aus dem Leib. Gummibärchen für Gummibärchen.
    Plötzlich gab es einen Knall. Dann klirrte es. Im Wohnzimmer musste Glas zu Bruch gegangen sein. Hörte Benjamin tatsächlich ein Knistern oder spielte das Dope ihm einen Streich?
    Benommen von der Droge, dem Heulen und dem Chaos in seinem Kopf, blickte Benjamin in die Richtung des Lärms, als könnte er durch die Wand in den Raum neben seinem sehen.
    Als seine Mutter einen markerschütternden Schrei von sich gab und panisch „Feuer!“ rief, wusste er, dass das alles nicht Teil eines Drogentrips war, genauso wie damals.
    Im nächsten Moment flog ein Pfeil mit einer brennenden Spitze durch Benjamins geöffnetes Fenster.
     

12
     
    Als sich Marie ihrem Auto näherte, glaubte sie von Weitem zu erkennen, dass ihre Fahrertür einen Spaltbreit offen stand, war sich aber nicht sicher.
    Alarmiert blieb sie auf dem Bürgersteig stehen. Sie kniff ihre Augen zusammen und spähte in die Dunkelheit. Hätte sie doch nur unter einer Laterne geparkt! Aber sie war froh gewesen, überhaupt einen Parkplatz in der Nähe ihres Apartments in der Südstadt gefunden zu haben.
    Daniel und sie hatten nur einen Tiefgaragenstellplatz mieten können. Früher hatte er ihn ihr, ganz Gentleman, überlassen, doch seit dem Unfall stand sein Wagen dort, weil sie hoffte, er würde das umständliche Einsteigen eher in Kauf nehmen, wenn er sich unbeobachtet wusste, und ihrer parkte auf der Straße.
    Fröstelnd rieb sie über ihren Oberarm. Der September verabschiedete sich feucht. Es war finster und verregnet. Unheimlich.
    Sie schaute hinauf zur Dachterrasse, die vom Licht, das aus dem Wohnzimmer durch die Glasfront drang, erhellt wurde. Sollte sie Daniel rufen? Mochte er auch im Rollstuhl sitzen, so glaubte sie fest daran, dass er dennoch einen Gegner in die Flucht schlagen konnte. Außerdem erkannte er sofort, was vor sich ging. Durch ihren Nebenjob als Gerichtszeichnerin erfasste sie zwar die Gefühle von Personen sehr schnell und las an kleinen Gesten ab, was tief in ihnen vorging, aber GeoGod war wie ein Geist. Sie hatte keine Ahnung, mit wem sich Benjamin angelegt hatte, wie weit er bereit war zu gehen, um seine Macht zu demonstrieren und Ben und seine Familie zu bestrafen.
    Vielleicht hatte er sie im Römisch-Germanischen Museum beobachtet und nun ihren Smart durchsucht, um so viel wie möglich über sie herauszufinden – oder um sie zu warnen, damit sie ihren Cousin diesen Kampf alleine ausfechten ließ.
    „Das kannst du vergessen!“, sagte sie laut, als könnte der Patron sie hören. Eventuell tat er das sogar. Sie schaute sich um, doch trotz der Straßenlaternen gab es für ihren Geschmack viel zu viele dunkle

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