Leiden sollst du
über ihre Fingerknöchel, blickte ihr dabei jedoch auffordernd ins Gesicht.
Sie seufzte. „Ich habe Benjamin versprochen, zu schweigen wie ein Grab, und du weißt, ich halte meine Versprechen. Immer.“
Daniel wusste, dass es unter diesen Umständen schwer würde, etwas aus ihr herauszukriegen, denn sie war eine loyale Seele. Das schätzte er an ihr. Vermutlich war das einer der Gründe, weshalb sie trotz seines Zustandes bei ihm blieb. Aber sollte sie ihn eines Tages nicht mehr lieben, würde er sie freigeben, schwor er sich. Er wollte sie nicht als Pflegekraft an seiner Seite, sondern als seine Ehefrau.
„Werde ich wegen Vandalismus angeklagt werden?“
Er zog seine Schiebermütze ab, legte sie auf seinen Schoß und schüttelte seinen Kopf. „Das Museum hat nichts gegen dich in der Hand. Sie können nicht einmal ein Hausverbot aussprechen, denn schließlich bist nicht du auf dem Reisewagen herumgeturnt, sondern Benjamin. Und der ist ihnen entwischt.“
Erleichtert stieß sie die Luft aus ihren Lungen aus. Sie fuhr ihm durch seine kurzen Haare. „Du warst beim Frisör.“
„Das Schneiden war lange überfällig.“ Verlegen setzte er die Kappe wieder auf.
„Was hast du wirklich auf dem Präsidium gemacht?“
„Sagte ich doch. Ich wollte meine Kollegen wiedertreffen.“
„Bisher hast du sie immer als ehemalige Kollegen bezeichnet.“ Er öffnete seinen Mund, um sich zu verteidigen, doch sie drückte sanft sein Knie. „Du warst dort, um mit der Personalabteilung die Möglichkeiten deiner Wiedereingliederung zu besprechen, habe ich recht? Gib es schon zu. Das ist doch toll!“
Wann hatte sich das Verhör umgekehrt? Daniel befürchtete, dass er bereits an Biss verlor. Er musste dringend zurück in seinen Beruf, um nicht aus der Übung zu kommen. Oder lag es an Marie? Er konnte ihr einfach nicht böse sein. „Ich muss dich enttäuschen, so war es nicht. Sie würden mich in die Abteilung für zentrale Aufgaben stecken und dort würde ich es nicht aushalten. Ich will Kriminelle jagen, nicht Akten abarbeiten.“
„Dann kämpfe dafür.“
Überrascht, dass sie keinen Versuch wagte, ihn davon zu überzeugen, dass ein Job besser als kein Job war, stutzte er. All die aufgeregten Worte, die er sich zu seiner Verteidigung zurechtgelegt hatte, blieben unausgesprochen.
„Du bist doch sonst ein sturer Hund.“
„He“, rief er in gespielter Entrüstung und lachte.
„Betrachte deine Rückkehr ins KK 11 wie einen Kriminalfall. Du hast dich immer regelrecht in deine Arbeit verbissen. Tu jetzt dasselbe.“
Aus ihrem Mund klang das so einfach. Aber ihm wurde bewusst, dass er privat nicht denselben Kampfgeist zeigte wie beruflich. Er setzte sich für andere mehr ein als für sich selbst. „Ich weiß nicht.“
Schnalzend nahm sie ihm Bens Smartphone ab und steckte es in die Jackentasche. „Wie sieht denn dein Plan B aus?“
„Wie bitte?“
„Die Alternative.“
Darüber hatte er noch nie nachgedacht.
Eindringlich sah Marie ihn an und gab ihm Zeit, zu antworten. Da er ratlos schwieg, fuhr sie fort: „Du hast gar keine. Kannst du dir vorstellen, etwas anderes zu machen, als beim Kriminalkommissariat zu arbeiten? Nein. Du würdest zu Hause Trübsal blasen und depressiv werden.“
„Tolle Aussichten.“ Sie hatte recht, sah er ein. Er würde unzufrieden werden, immer mehr Frust aufbauen und vielleicht dadurch Marie endgültig wegekeln. Daniel hatte keine Wahl. Er musste zurück zum KK 11, dort war seine zweite Heimat, für diese Arbeit schlug sein Herz.
Jetzt musste er nur noch den Direktor Christian Voigt davon überzeugen, für ihn alle Regeln zu brechen. Die Mauer, die er soeben durch die Erkenntnis, dass er unbedingt an seinen Arbeitsplatz zurückkehren musste, eingerissen hatte, baute sich plötzlich von selbst wieder auf.
Plötzlich ging die Tür auf. Eine Polizistin blieb abrupt stehen. Offensichtlich hatte sie nicht gewusst, dass sich Fremde im Pausenraum befanden. Sie murmelte eine Entschuldigung, stellte schnell ihre leere Flasche in den Kasten neben der Kaffeemaschine und eilte mit einem neuen Wasser hinaus.
„Du warst doch nicht in Kalk, um mit Tomasz und den anderen zu plaudern. Wenn es dir nur um ein Schwätzchen gegangen wäre, hättest du dich doch mit ihnen woanders getroffen und dir nicht die Blöße gegeben, dass alle im Präsidium dich in deiner Krüppel-Harley begaffen.“
Aus ihrem Mund hörte sich die Bezeichnung, die er seinem Rolli verpasst hatte, herablassend an.
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