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Leiden sollst du

Leiden sollst du

Titel: Leiden sollst du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Wulff
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Rande wahrgenommen?
    Ein ungutes Gefühl breitete sich in ihrem Inneren aus, eine düstere Vorahnung, dass sie auf der richtigen Spur war, aber in die falsche Richtung suchte.
    Plötzlich fiel es ihr wieder ein. Er hatte im Juli des vergangenen Jahres bei einem Prozess ausgesagt, der aufgrund seiner Brutalität großes Medieninteresse und lokalpolitische Diskussionen ausgelöst hatte. Damals hatte der Kölner Stadtanzeiger Marie beauftragt, Zeichnungen während der Verhandlung anzufertigen, die später in der Zeitung abgedruckt wurden. Fünf Obdachlose zwischen sechzehn und vierunddreißig Jahren, die mit ihren Schlafsäcken und wenigen Habseligkeiten unter der Hohenzollernbrücke lebten, hatten im Suff eine Punkerin, die seit einigen Wochen bei ihnen schlief, die ganze Nacht hindurch so heftig vergewaltigt, dass die Einundzwanzigjährige im Intimbereich genäht werden musste.
    Wie hieß der Mann noch gleich? Sie kramte in ihrem Gehirn nach seinem Namen.
    Stattdessen fiel ihr plötzlich ein, dass sie sein Gesicht das letzte Mal nicht im Gericht vor vierzehn Monaten gesehen hatte – sondern im Stadtanzeiger, diese Woche. Die sie mit einem Stapel Altpapier eben erst in die Papiertonne geworfen hatte. An welchem Tag er in der Zeitung gestanden hatte, wusste sie nicht mehr. Den Bericht hatte sie auch nicht gelesen, das ärgerte sie nun. Sie erinnerte sich nur noch daran, dass die Überschrift schaurig gewesen war und, da sie genug Hiobsbotschaften in ihrem eigenen Leben zu verkraften hatte, nicht über eine weitere lesen wollte.
    Wie hatte die Headline noch gleich gelautet?
    Grübelnd trommelte sie mit ihren Fingerspitzen auf das Armaturenbrett. Als sie ihr endlich wieder in den Sinn kam, griff sie das Lenkrad so fest, als wollte sie es aus der Halterung reißen.
     
    Kölner Streetworker verstümmelt und ermordet
     
    Ja, genau das hatte in großer Schrift über dem Artikel geprangt.
    Sie setzte sich kerzengerade hin. Erneut prüfte sie die Uhrzeit. Eigentlich durfte sie Benjamin nicht länger warten lassen. Aber sie wusste, sie würde sich nicht auf den Verkehr konzentrieren können und sich damit nur in Gefahr bringen, wenn sie losfuhr, ohne nachzuschauen, ob sie die Zeitungsausgabe noch fand. Außerdem durfte sie nicht warten, da die blauen Tonnen auf dem Gehweg standen und morgen von der Müllabfuhr abgeholt wurden.
    Sie spähte in alle Richtungen, schob ihre Angst beiseite und sprang aus ihrem Auto. Die Sohlen ihrer Stiefel klackten, als sie über den Bürgersteig zurück zu ihrem Haus lief. Sie riss den Deckel der Tonne auf, kramte hektisch in den Papieren herum und blickte immer wieder über ihre Schulter.
    Es dauerte nicht lange und sie hatte die Zeitung gefunden. Sie stellte sich unter eine Laterne und breitete sie aus.
    Der Streetworker war keine Titelstory wert gewesen, hatte aber auf der zweiten Seite gestanden. Das Foto neben dem Artikel zeigte ihn lächelnd auf der Domplatte, umrahmt von einer Schar Punker, als wäre er ihr Freund oder sogar einer von ihnen. Das Bild sah gestellt aus, als wäre es für eine Werbebroschüre gemacht worden und passte so gar nicht zum Titel.
     
    Kölner Streetworker verstümmelt und ermordet
    Heute gab die Polizei bekannt, dass der Streetworker Michael „Mike“ Schardt ermordet und grausam verstümmelt wurde. Die Leiche des 48-Jährigen wurde letzten Freitag in seiner Wohnung gefunden. Offenbar war er vor seiner Ermordung verprügelt worden. Der oder die Mörder hatten ihm zudem die Hände abgetrennt und die Augenlider zugenäht. Anhand des hohen Blutverlustes konnte die Gerichtsmedizin feststellen, dass sein Herz zu diesem Zeitpunkt noch geschlagen hatte. Er war bei der Verstümmelung noch am Leben gewesen und ist langsam verblutet. Der Grund für die brutale Vorgehensweise ist unbekannt. Verdächtige gibt es noch nicht. Zuerst vermutete die Kriminalpolizei, dass der Mord an Schardt in Zusammenhang stand mit dem Prozess um die fünf Punker, die im Juli des letzten Jahres eine Einundzwanzigjährige, welche ebenfalls auf der Straße lebte, immer wieder brutal vergewaltigten und mit starken Unterleibsblutungen einfach liegen ließen. Doch die verurteilten Straftäter sitzen noch in Haft. Ein Racheakt von Freunden wird nicht ausgeschlossen, jedoch lässt die Zeitspanne zwischen der Verurteilung der fünf und der Ermordung von Mike Schardt Zweifel an dieser Theorie aufkommen. Trotzdem geht die Polizei der Spur nach. Mike Schardt hatte selbst viele Jahre auf der Straße gelebt

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