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Leiden sollst du

Leiden sollst du

Titel: Leiden sollst du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Wulff
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sehen! Fassungslos riss er seine Augen auf. Der Schock presste ihm im ersten Moment die Luft aus den Lungen. Der Mann war ganz in Schwarz gekleidet. Die Dunkelheit verbarg sein Gesicht. Der Wichser stand in einer dunklen Wohnung im gegenüberliegenden Hochhaus und zielte auf ihn. Warum schoss er denn nicht? Worauf wartete dieser Psycho? Wer zu Hölle war das und warum tat er den kranken Scheiß?
    Als seine Mutter ihn an der Schulter berührte, zuckte Ben zusammen. Er drehte sich zu ihr um.
    Ihr Kopf war vor Aufregung und zunehmender Hitze hochrot. „Wir müssen hier raus“, krächzte sie.
    Er nickte. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. „Ich hole Kobold.“
    „Du musst ihn hierlassen.“ In ihrer türkisfarbenen Bluse wurden die Schweißflecken unter ihren Achseln immer größer.
    „Auf keinen Fall!“ Er war sein bester Freund, denn Maik und Denis hatten sein Vertrauen vor geraumer Zeit verspielt. Er hing nur noch mit ihnen ab, weil er keine anderen Kumpel hatte. Kobold flippte nicht von einer Sekunde auf die andere aus und biss zu, seine Zuneigung war echt. Aufgebracht schüttelte er seinen Kopf. Einige Strähnen blieben an seiner schweißnassen Stirn kleben.
    Er brachte seine Mutter im Treppenhaus in Sicherheit. „Warte hier. Ich bin gleich zurück.“
    „Nein“, hörte er sie noch schreien, aber da lief er bereits zurück in das Apartment.
    Die Flammen griffen auf immer mehr Möbel über. Ein Feuerpfeil schoss an ihm vorbei und zerschellte an der Wand im Flur. Eine Flüssigkeit lief an der Tapete entlang, sie fing Feuer.
    Verdutzt blieb Benjamin stehen, blickte zu Boden und sah, dass neben dem Pfeil Scherben lagen. Der Wichser da draußen hatte sich eine Art Molotowcocktail gebastelt, indem er Benzinpatronen aus Glas hinter die Spitze geklebt hatte, um sicherzugehen, dass die Wohnung in Flammen aufging.
    Wie ein Sprinter stieß er sich ab und hechtete in sein Zimmer. Als er anhalten wollte, taumelte er weiter, knallte mit den Schienbeinen gegen sein Bett und fiel darauf. Der Rauch raubte ihm den Atem, aber auch das THC in seinen Adern. Wenn Benjamin ruhig stand, war seine Sicht klar, doch sobald er sich bewegte, waberte das Bild vor seinen Augen. Das kannte er bereits. Normalerweise fand er das lustig und kicherte unentwegt. In dieser brenzligen Situation jedoch blieb ihm das Lachen im Halse stecken. Er schmeckte noch immer bittere Galle, gemischt mit dem süßlichen Geschmack der Gummibärchen.
    Obwohl sein Herz raste, bewegte er sich wie in Zeitlupe. Träge rappelte er sich auf und suchte seine Ratte.
    „Kobold, wo bist du?“, rief er über das Tosen der Flammen hinweg, die an der Einrichtung fraßen.
    Verzweifelt riss er das Regal von der Wand. Brennende Schulunterlagen fielen zu Boden und hinterließen rußige Spuren auf dem Laminat.
    „Kooobooold!“ Das sich ausbreitende Feuer schien höhnisch zu knistern, als würde es sich lustig über ihn machen. Er meinte sogar eine Fratze darin zu erkennen, war aber nicht so benebelt, dass er nicht wusste, dass es sich um eine Halluzination handelte, hervorgerufen durch das Gras. Panisch schlug er sich mehrmals gegen die Wangen, um nicht den Verstand zu verlieren.
    Benjamin warf sich auf den Boden und schaute unter dem Bett nach. Er zog seinen Kleiderschrank weg, öffnete ihn und durchwühlte seine Kleidung.
    „Kobold“, jammerte er und schluchzte: „Wo steckst du nur?“
    Die Ratte musste sich irgendwo verstecken, weil sie Angst vor dem Feuer hatte. Vielleicht war sie auch aus seinem Zimmer geflüchtet. Sie konnte überall sein.
    Ihm wurde bewusst, dass er sie nicht so schnell finden würde, als er im Augenwinkel sah, wie der Läufer im Flur Feuer fing. Die Flammen breiteten sich im ganzen Apartment aus. Im Hintergrund stand seine Mutter in der Wohnungstür, kreischte irgendetwas und winkte mit ihren Krücken. Er musste Kobold zurücklassen.
    Wenn er sein eigenes Leben retten wollte, blieb ihm nichts anderes übrig, als sofort zu fliehen. Damit war Kobold allerdings dem Tode geweiht.
    Hadernd und voller quälender Zweifel stand Benjamin noch einige Sekunden lang in seinem Zimmer. Sollten seine Klamotten, sein Computer und sein Kölner-Haie-Schrein ruhig zerstört werden. Es war ihm egal. Aber einen Freund ließ man nicht im Stich. Den Fehler hatte er einmal gemacht, er wollte ihn nicht wiederholen. Doch er hatte keine Wahl. Bald würde sein Fluchtweg versperrt sein oder er vom Rauch bewusstlos werden.
    Sein Turnschuh fing Feuer. Wild schlug er es

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