Leiden sollst du
mit dem feuchten Lappen aus. Die Hitze um ihn herum nahm zu, sein Hals kratzte und er musste immer öfter husten. Und er fragte sich immer wieder, wer Kobolds Käfigtür geöffnet und ihn rausgelassen hatte.
Ben goss das restliche Wasser aus der Flasche über seine Hosenbeine. Ein letztes Mal schaute er sich um, in der Hoffnung, Kobold doch noch zu entdecken. Vergeblich. Seine Brust war wie zugeschnürt. Mit feuchten Augen raste er in den Flur. Ohne abzubremsen sprang er, angetrieben von Todesangst, mutig über die Flammen, die wie Hände nach ihm griffen, aber das mochte er sich auch nur einbilden.
Wäre seine Mutter nicht beiseitegetreten, hätte er sie durch den Schwung umgerannt. Er legte den Arm um ihre Taille und half ihr die Treppe hinunter. Beide schrien sie aus voller Kehle und klopften an die Türen der Nachbarn, um sie zu warnen.
Vor dem Haus versammelten sich die Bewohner auf dem Gehweg, warteten auf die Feuerwehr, die längst jemand angerufen hatte, und starrten fassungslos hoch, zu der brennenden Wohnung der Mannteufels.
„Heide, Ben, was ist passiert?“, rief Marie und stürmte heran.
Tränen rannen über seine Wangen. Er schaute nach oben, nahm aber nichts wahr, sondern stellte sich einen kleinen verkohlten Rattenkörper vor. Hätte er nicht schon gekotzt, hätte er es jetzt getan. „Kobold verbrennt gerade da oben.“
„Wäre ich doch früher gekommen“, hörte er Marie wie aus weiter Ferne sagen. „Aber man hat mich aufgehalten.“
„Du hättest es nicht verhindern können. Wir müssen die Polizei verständigen.“ Die Stimme seiner Mutter klang fremd, nicht mehr so betont fröhlich wie üblicherweise, wenn sie etwas Negatives herunterspielte, sondern so, als wäre sie auf dem Boden der Realität angekommen. „Jemand hat uns mit brennenden Pfeilen beschossen. Unser ganzes Leben geht in Flammen auf. Wir haben nichts mehr. Nichts. Alles ist weg. Wir sind am Ende.“
Entsetzt riss Marie ihre Augen auf. Mit offenem Mund schaute sie Ben fragend an.
Er konnte ihren Blick leicht deuten, doch eine Antwort hatte er für sie nicht, deshalb zuckte er mit den Achseln.
„Vielleicht wird ja noch etwas gerettet.“ Beruhigend tätschelte Marie den Rücken ihrer Tante. „Hörst du die Sirenen? Die Feuerwehr ist gleich hier.“
„Kannst du Hajo auf seinem Handy anrufen, er ist noch auf einem Geschäftsessen im Restaurant ... im ... ich kann mich nicht erinnern“, sagte Heide und machte auf Ben einen verwirrten Eindruck, „und Irene und Rainer, bestimmt können wir vorerst bei ihnen Unterschlupf finden. Sie haben doch so ein großes Haus, so viele leer stehende Schlafräume, so viel Platz.“
„Nicht das auch noch.“ Mit dem Ärmel seines Pullovers wischte sich Benjamin die Tränen vom Gesicht. Inbrünstig fragte er Marie: „Kann ich bei euch schlafen? In eurem Arbeitszimmer steht doch ein Gästebett.“
Sie nickte wie ein Wackeldackel bei voller Fahrt. „Selbstverständlich. Wenn deine Eltern einverstanden sind.“
„Ich bin achtzehn“, rief er ihr in Erinnerung.
„Schon gut, ist in Ordnung.“ Seine Mutter rieb über die Haut unter ihren Augen, als könnte sie die dunklen Ränder wegmassieren. Seit dem Autounfall schien sie um Jahre gealtert zu sein. Im Licht der Straßenlaterne meinte er graue Strähnen in ihren kurzen braunen Haaren auszumachen, sie fielen ihm jetzt das erste Mal auf.
Plötzlich erklang ein Ton, der Benjamin nur allzu vertraut war. Es handelte sich um den Schrei eines Mannes, der sich vor irgendetwas oder irgendwem gehörig erschreckte. Ben fand das witzig, seine Mutter dagegen bezeichnete seinen SMS-Ton als gruselig, als würde jemand gefoltert werden. Marie trug noch sein Smartphone bei sich.
Sie kramte in ihrer Handtasche, holte zu Bens Überraschung drei Mobiltelefone heraus und betrachtete sie. Seit wann besaß sie ein Zweithandy, wo sie doch stets sagte, sie hätte nur eins für Notfälle und würde es selten nutzen? Auf der Rückseite eines der Telefone klebte ein weißer Sticker mit einer roten Schrift, der ihm bekannt vorkam. Aber bevor er einen genaueren Blick darauf erhaschen konnte, hatte Marie es auch schon wieder weggesteckt, reichte ihm seins und lächelte seltsam verlegen. Auf ihren Wangen bildeten sich unregelmäßige rote Flecken. Aber war das ein Wunder, bei der Aufregung? Er wollte sich nicht ausmalen, wie beschissen er selbst aussah.
Erschöpft und nicht ganz bei der Sache ließ er sich die SMS anzeigen. Mit einem Mal war er
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