Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leiden sollst du

Leiden sollst du

Titel: Leiden sollst du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Wulff
Vom Netzwerk:
Verbrechen, das hier seinen Anfang genommen hatte und auf dem Nachbargrundstück blutig zu Ende gegangen war. Oder an dem Dahinsiechen dieses Gebäudes ... des gesamten Industrieviertels. Oder der Angst, einen weiteren Toten zu finden.
    Aber GeoGod hatte möglicherweise mit Schardts und Lenz’ Ermordung gar nichts zu tun gehabt. Er hatte weder Ben noch sie zu der Leiche des Obdachlosen in der Tiefgarage geführt, sondern Marie war durch ihre Recherche auf Schnapper gestoßen. Oder etwa doch nicht? Hatte der Patron ihr Julias Handy zugespielt, da er den Stadtstreicher ebenfalls auf dem letzten Foto entdeckt hatte?
    Wie sollte jedoch das Smartphone des Mädchens in seinen Besitz gekommen sein? Die einzige Schlussfolgerung, die Marie einfiel, war, dass er Julia umgebracht haben musste.
    Sie meinte das Rascheln des Flatterbands der Polizei, das den Tatort auf dem Nachbargrundstück absperrte, zu hören, aber das musste sie sich einbilden, denn das Ufer war zu weit weg.
    Ihre Nerven spielten ihr einen Streich.
    Sie kam sich vor wie auf einem Geisterschiff, das von seiner Crew verlassen worden war. Die Hausbesetzer waren so schnell wieder abgezogen, wie sie gekommen waren, wie Wanderheuschrecken. Der Eigentümer würde aufgrund der Tragödie um Julia Kranich nun erst recht keinen Kaufinteressenten mehr finden.
    Dieser Ort war tot.
    Gully schien als Letzte das sinkende Schiff verlassen zu haben. Maries Nackenhaare stellten sich auf. Fröstelnd rieb sie sich über ihre Oberarme.
    Ihr schwirrte der Schädel. Kopfschmerzen kündigten sich an. Sie blieb stehen, nahm einige Schlucke aus der kleinen Wasserflasche, die sie immer in ihrer Handtasche trug, und beobachtete, wie Daniel mit seinem Rolli in den ehemaligen Speiseraum fuhr und Benjamin an der Tür stehen blieb. Angespannt ließ sie ihre Blicke umherschweifen.
    Plötzlich bemerkte sie etwas im Raum ihr gegenüber. Erschrocken spuckte sie das Wasser aus. An einer der Wände klebte Blut.
    „Was ist los?“, hörte sie Daniel rufen. Die Rollen seines Gefährts kratzten über den Boden, vermutlich klebten Schmutz und kleine Steine an den Rädern.
    Ich habe etwas gefunden , wollte Marie antworten, aber die Worte blieben ihr im Halse stecken. Sie hatte nicht gewusst, dass einem von Wasser übel werden konnte, aber in diesem Augenblick fühlte es sich an, als hätte sie drei Liter auf einmal getrunken, die nun ihren Magen unangenehm dehnten.
    Ohne den Blick von den kleinen Leichen zu nehmen, schraubte sie die Flasche zu und steckte sie zurück in ihre Tasche. Ihre Hände zitterten.
    Hatte Gully dieses Massaker gesehen und war geflohen, um nicht das nächste Opfer zu werden? Oder lag sie im Keller oder im Obergeschoss und war genauso zugerichtet?
    Es sind nur Tiere, beruhigte sich Marie, aber das machte die Tat nicht weniger grausam, denn die Ratten waren regelrecht abgeschlachtet worden. Die Szene erweckte den Anschein, als hätte der Tierquäler auch noch Spaß dabei gehabt. Oder er war ausgerastet und hatte vollkommen die Kontrolle über sich verloren.
    Schockiert stolperte Marie in das Zimmer hinein.
    Rechts unter dem Fenster, das dürftig mit Lappen abgedichtet war, schmiegten sich zwei fleckige Matratzen aneinander. Ein benutztes Kondom hing an der Wand dahinter. Vielleicht war es mit dem Keilabsatz der Sandale, die davor lag, festgenagelt worden. Angewidert verbot Marie sich, darüber nachzudenken, was auf dem schmutzigen Lager geschehen war. Sie glaubte schon zu spüren, wie Herpes an ihrer Unterlippe entstand.
    Ihre Mutter hatte sie zu Ordnung und Reinlichkeit erzogen, manchmal sogar mit recht drastischen Mitteln. Marie musste drei oder vier Jahre alt gewesen sein, als sie von Irene Bast dabei erwischt worden war, wie sie neugierig mit einem Ast im Kot von Hermann, dem Familienlabrador, herumstocherte. Daraufhin hatte ihre Mutter sie mit den tierischen Fäkalien eingerieben und Marie hatte sich erst waschen dürfen, nachdem diese getrocknet gewesen waren. Selbst nach dem Duschen hatte sie den Gestank noch in der Nase gehabt. So klein, wie sie auch gewesen war, an diesem Tag hatte sie ihre Lektion gelernt.
    Was sie jedoch jetzt sah, war weitaus schlimmer als die Erfahrung von damals. Sie konnte es kaum fassen, blinzelte, wünschte, das Bild vor ihren Augen würde verschwimmen, sich neu zusammensetzen und ihr etwas anderes zeigen, aber das tat es nicht. Es blieb ekelerregend!
    Drei ausgewachsene Ratten lagen unweit von ihr entfernt. Einer schwarzen hatte man mit weißem

Weitere Kostenlose Bücher