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Leiden sollst du

Leiden sollst du

Titel: Leiden sollst du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Wulff
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worden war, hatte er Ben Zeit gegeben, seinen Schmerz und seine Trauer zu verarbeiten. Jetzt war der Punkt gekommen, wo sich der Junge öffnen musste, ob er wollte oder nicht, denn sein Leben und das seiner Eltern stand auf dem Spiel!
    Wütend zog Daniel seine Jacke aus, warf sie auf den Schuhschrank und legte seine Hände an die Greifringe seines Rollstuhls, um Ben zu folgen.
    Marie bat: „Sei nicht so hart zu ihm.“
    „Vielleicht waren wir zu nachlässig, hast du darüber schon mal nachgedacht?“ Er beobachtete, wie sie ihre Handtasche abstellte und seine Jacke an den Haken hängte, an den er nicht mehr herankam, seit er im Rollstuhl saß, was ihn immer noch wurmte. Er würde einen in Kinderhöhe aufhängen müssen, das passte ihm nicht, aber es ging nicht anders. „Wir haben keine Erfahrungen als Eltern.“
    „Willst du diese Handschuhe nicht mal ausziehen? Du trägst sie ja Tag und Nacht.“
    Ertappt suchte Daniel nach einer Ausrede. Er krümmte seine Finger mehrmals, bemüht, sich den Schmerz, der dabei entstand, nicht anmerken zu lassen, und schaute auf das Spiel der Sehnen und Muskeln in seinem Unterarm, um Marie bei seiner Notlüge nicht in die Augen zu blicken. „Ich folge nur dem Rat des Herstellers. Man soll sie anfangs oft tragen, damit das Leder weicher wird.“
    Glücklicherweise kehrte sie mit ihren Gedanken zu Benjamin zurück. Sie streifte ihre Schuhe ab und schlüpfte in ihre Lammfellpantoffeln. „Wir sind nicht seine Eltern.“
    „Aber er lebt jetzt bei uns. Wahrscheinlich für länger.“ Die Mannteufels wollten nicht in ihre alte Wohnung zurückkehren, da die Renovierungsarbeiten nach dem Brand lange dauern würden und sie mit schlechten Erinnerungen belastet war. Heide und Hans-Joachim suchten bereits nach einer neuen Bleibe, aber die Mietpreise in Köln lagen über deutschem Durchschnitt. Die günstigsten Apartments gab es in Chorweiler, das Viertel war allerdings als Hochhausghetto verschrien. „Er muss sich an unsere Regeln halten, und eine lautet, ehrlich zueinander zu sein.“
    Marie hob ihre Augenbrauen, die sie aus Gründen, die Daniel nie verstehen würde, zupfte. „Wie wir beide zueinander in letzter Zeit?“
    „Das liegt hinter uns.“ Daniel seufzte. Sie hatte ja recht. Er hatte ihr erst gestanden, dass er über eine Rückkehr in den Polizeidienst nachdachte, als er bereits seine Fühler nach seinem alten Job ausgestreckt hatte. Nicht etwa, weil er sie nicht an seinem Leben teilhaben lassen wollte. Sondern weil er unsicher gewesen war, ob er es wirklich wollte und ob man ihn lassen würde, außerdem wollte er ihr keine falschen Hoffnungen machen. Jetzt stand er unter Druck. Der Weg zurück stand ihm offen, allerdings nicht in seine alte Abteilung. Würde Marie dafür Verständnis zeigen, wenn er dem Polizeipräsidium den Rücken kehrte, weil die Tür ins KK 11 verschlossen blieb? Wohl kaum. Sie war stets verständnisvoll, aber auch ihre Geduld mit ihm hatte Grenzen. Eine Frau, die aus einem karriereorientierten Elternhaus wie dem der Basts kam, würde nicht mit einem Mann zusammenleben können, der zu Hause herumsaß und nichts mit sich anzufangen wusste. „Wir haben unsere Fehler eingesehen und uns geändert. Benjamin wird das auch tun müssen.“
    Daniel klopfte an die Tür des Gästezimmers, doch Ben antwortete nicht. Daher öffnete er sie und fuhr hinein.
    Der Junge lag auf dem Bett. Musik war so weit aufgedreht, dass Daniel sie hören konnte, obwohl Benjamin Kopfhörer trug. Da Ben keine Anstalten machte, sie abzuziehen, riss Daniel sie ihm vom Kopf.
    „He!“ Ben setzte sich auf.
    Instinktiv spürte Daniel, dass die Zeit für Verständnis um war und er sanften Druck ausüben musste. Anders kam er nicht weiter. „Red mit uns!“
    „Es gibt nichts zu reden.“
    Daniel neigte sich vor. „Du musst uns sagen, was du weißt.“
    „Auch nicht mehr als ihr.“ Bens Auge zuckte.
    Niemand anderem wäre das aufgefallen, aber Daniel war durch zahlreiche Verhöre geübt darin, auf kleine Auffälligkeiten zu achten. Dass er ihm auf den Zahn fühlte und das erste Mal nicht zaghaft vorging, machte Benjamin offenbar nervös. Er verheimlichte ihnen etwas.
    „GeoGod wird von Hass angetrieben“, erklärte Daniel, lehnte sich zurück und verschränkte seine Arme vor dem Brustkorb. „Er spielt nicht einfach nur zum Spaß.“
    Ben zog einen Flunsch, als wäre er erst acht und nicht achtzehn Jahre alt. „Was weiß ich.“
    „Was könntest du ihm getan haben?“
    „Ich?“

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