Leidenschaft der Nacht - 4
kundgetan und angedeutet hatte, sie würde sein Leben für immer verändern.
Interessant! Wo hatte dieser vorlaute Grünschnabel sich da hineinmanövriert?
Das zweite Telegramm hatte nichts mit Olivia oder James zu tun, doch die Nachricht darin stellte einen weit größeren Schock dar - einen entsetzlicheren. Eines der Mädchen im Maison Rouge, dem Londoner Bordell, das Reign gehörte, war brutal ermordet worden. Der Mord geschah so kurz nach seiner Abreise, dass es unmöglich Zufall sein konnte. Oder? Sprach hier sein natürliches Misstrauen aus ihm? ja, musste es wohl, denn alles andere wäre zu abwegig.
Reign blickte auf, als er einen vertrauten Duft bemerkte, der zunächst nur ganz vage war und stärker wurde, je näher sie kam. Er holte tief Luft, dann stand sie auch schon in der Tür. »Konntest du nicht schlafen?«, fragte sie.
»Nein«, antwortete er kopfschüttelnd. Wie wunderschön sie aussah, die Arme vor der Brust verschränkt und das lange Haar offen über dem dünnen cremefarbenen Seidenmorgenmantel!
»Gut.« Sie nahm ihre Arme herunter und kam ins Zimmer. »Daran bist du selbst schuld.«
Wider besseres Wissen und trotz der schrecklichen Nachricht aus London musste Reign lächeln. Das also war alles, was sie zu ihrer beider »Frustration« zu sagen gedachte. »Ich weiß.«
Seufzend sank sie auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. »Irgendwelche Neuigkeiten?«
»Eines der Mädchen aus dem Maison Rouge wurde ermordet.«
Olivia hielt sich eine Hand vor den Mund, während sie einen stummen Schrei ausstieß. Ihre Rehaugen wurden riesig vor Entsetzen. »Gütiger Himmel! «
Das war nicht Reigns erste Reaktion gewesen, aber tatsächlich fühlte sogar er sich noch ein wenig betäubt, denn er konnte nicht glauben, dass etwas Derartiges jemandem widerfuhr, der unter seinem Schutz, seiner Obhut stand. Wie hatte das geschehen können?
Er wählte seine Worte sorgfältig und beobachtete aufmerksam, ob Olivias Gesichtsausdruck sich veränderte. »Ich will vor dem Schlafengehen noch ein Telegramm an Clarke schreiben. Eventuell muss ich für ein paar Tage nach London fahren. «
Panik flackerte in ihren Augen auf, gefolgt von … Wut, dann Scham. Es gefiel ihr ganz und gar nicht, doch selbst Olivia dürfte bewusst sein, dass ein Mord Vorrang hatte, solange James’ Entführer sie anscheinend nur hinhielten. »Selbstverständlich.
Wann weißt du, ob du gebraucht wirst? «
»Schon morgen Abend, hoffe ich.«
Sie nickte. »Kann ich irgendetwas tun?«
Es war eine simple Frage, wie sie fast jeder unter den gegebenen Umständen gestellt hätte, und dennoch zerriss sie ihm das Herz. Er hätte antworten können, wüsste er, wo er anfangen sollte. Stattdessen schüttelte er den Kopf.
Olivia nickte abermals, bevor sie den Blick senkte. »Du hast zwei Telegramme bekommen.«
»Ja. Das andere ist auch von Clarke. Er hat Nachforschungen über James’ jüngste Aktivitäten angestellt. «
Nun hob sie ruckartig den Kopf, und alles Mitgefühl war aus ihrem Gesicht verschwunden. »Du hast über James nachgeforscht?«
Wie ungehalten! Gab es etwas über den süßen kleinen James, das er ihrer Meinung nach nicht erfahren sollte? »Natürlich! Wollen wir denn nicht herausfinden, warum er entführt wurde?«
Damit schwand ein wenig Schärfe aus ihren Gesichtszügen, doch nicht viel. Sie wirkte immer noch angespannt und unruhig wie eine Kobra, die bei der kleinsten Regung zuschlagen würde. »Und? Was hat dein Spion herausgefunden?«
Reign stützte den Ellbogen auf den Schreibtisch, sein Kinn in die Hand und tippte mit den Fingerspitzen auf seine Wange. »Was ist los, Liv? Mag er jungen, und jemand kam dahinter? Hat er im Feuer der Leidenschaft jemanden umgebracht?«
Ihr finsterer Blick entlockte ihm ein Lächeln. Das herrliche Schmollen war stets ein verlässliches Indiz, dass er ihr zu nahe getreten war. »Natürlich nicht! Sei kein Arsch!
«
Ja, sie konnte auch mit jedem Fischweib mithalten, trieb er es zu weit! Aber das musste vorerst warten. Die Angelegenheit war zu wichtig und Reign nach wie vor zu schockiert ob der Nachrichten aus dem Maison Rouge, als dass er sich auf Kosten seiner Gattin Kurzweil gönnen wollte.
Er lehnte sich auf seinem Sessel zurück, schlug ein Bein über das andere und betrachtete Olivia, auf dass ihm auch ja kein Hinweis darauf entging, dass sie ihn täuschte. »Hat James jemandem in seiner kleinen Gruppe erzählt, dass du ein Vampir bist?«
»Welche Gruppe?«
Reign sah auf das Telegramm.
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