Leidenschaft der Nacht - 4
»Die Freunde des glorreichen Unsichtbaren.«
»Ich habe nie von ihnen gehört«, antwortete sie, als stünde und fiele die Existenz der Gruppe mit ihrem Wissen.
»Er ist der Vizevorsitzende.« Immer noch gab ihre Miene nichts preis, also hakte Reign nach. »Hat er dir nie von ihnen erzählt?«
»Nein.« Nun war sie sichtlich pikiert. James hatte ihr nicht erzählt, dass er nach Schottland reisen wollte, und von seiner Organisation hatte er ihr ebenfalls nichts verraten. Zweifellos fragte sie sich, was der junge ihr sonst noch verschwiegen hatte und worauf genau der kleine Mistkerl sich eingelassen haben mochte. »Wer sind sie?«
»Anscheinend interessieren sie sich sehr für Paranormales, insbesondere für Vampire.«
Dass ihre Augen sich kaum merklich weiteten und ihr Atem hörbar stockte, war nicht gespielt. »Glaubst du, die Entführer könnten aus dieser Gruppe stammen?«
»Möglich«, erwiderte er achselzuckend. »Wäre da nicht der tote Priester in St.
Martin’s, würde ich mich fragen, ob alles nicht bloß eine ausgeklügelte List ist, damit James vor seinen Kumpanen mit seinem Vampirtantchen angeben kann.«
Ihr finsteres Schmollen kehrte mit voller Kraft zurück. Zu ihrem Glück bekamen Vampire keine Falten, sonst sähe ihre Stirn inzwischen wie ein Feldweg nach starkem Regenfall aus. »So etwas würde James nie tun! «
»Ach nein?« Reign war nicht sicher, dass ihr Neffe so fehllos war, wie sie glaubte.
»Hat er dich jemals gebeten, ihn zu verwandeln?«
Ihre Antwort war überflüssig, denn sie wurde kreidebleich und wandte rasch ihr Gesicht ab. »Ja. Das erste Mal, als er fünfzehn war. Ich begreife jedoch nicht, was das mit der gegenwärtigen Situation zu tun haben soll.«
Fünfzehn. Noch ein Kind. »Wann war es das letzte Mal?«
Sie presste eine Faust auf ihre Lippen. »Vorigen Monat.« Obwohl sie sichtlich unglücklich war, reckte sie trotzig ihr Kinn. »Wahrscheinlich denkst du jetzt, ich hätte ihn verwandeln sollen.«
Ein scharfes hämisches Lachen entfuhr ihm. »Zur Hölle, nein! Er ist viel zu jung.«
»Ja, das habe ich auch gesagt.« Sie beugte sich vor und umklammerte die Schreibtischkante, dass das schwere Holz knarrte. »Ich erklärte ihm, dass ich es nie tun würde. Er weiß nicht, was es bedeutet.«
»Bitte Zerbrich meinen Schreibtisch nicht! Er weiß sehr wohl, was es bedeutet, Liv, denn immerhin ist er bei dir aufgewachsen. Vermutlich schreckt ihn nicht einmal der Gedanke, Blut trinken zu müssen. Was ihn hingegen durchaus schrecken sollte, ist, auf ewig zu jung auszusehen, um Haare am Sack zu haben.«
Sie starrte ihn an, als wäre er der dümmste und abscheulichste Mann auf der Welt.
Das war neu, sogar für ihn.
Wenigstens ließ sie seinen armen Schreibtisch los, ehe sie noch Dellen in die polierte Platte drückte. »Du bist schon so lange Vampir, dass du vergessen hast, was es heißt, menschlich zu sein.« Ihr Mund nahm einen verächtlichen Zug an. »Deshalb gibst du dir solche Mühe, in der Öffentlichkeit menschlich zu wirken, und hältst dich an menschliche Regeln, weil du, tätest du es nicht, keinen Funken Menschlichkeit mehr in dir hättest.«
Ihre Worte trafen ihn, waren sie doch teils wahr. ja, er hatte zugegebenermaßen Angst, sich komplett an das Tier in sich zu verlieren. Allerdings lebte er damit bereits seit sechshundert Jahren und würde es in weiteren sechshundert Jahren immer noch.
Deshalb blieb er gelassen. »Währenddessen klammerst du dich an deine verlorene Sterblichkeit, weil du fürchtest, dir könnte gefallen, was du bist, sobald du dich wirklich darauf einlässt.«
Sie kniff den Mund zusammen. Eins zu null für dich!
Leider wussten sie zwar beide, wie sie einander möglichst effektiv verletzten, neigten jedoch auch dazu, es sofort wieder zu bedauern. Da andererseits gutparierte Bissigkeiten allemal besser waren als Entschuldigungen, fuhr Olivia fort.
»James denkt nur an die Stärke und die schärferen Sinne. Ich will nicht, dass er die Furcht jener ersten Momente erfährt, wenn die Wandlung einsetzt. Er soll die Angst nicht kennenlernen, zu viel zu trinken und versehentlich zum Mörder zu werden, wenn er sich erstmals am Blut eines Menschen nährt.«
Vor Entsetzen erstarrte Reign, und seine Stimme wurde trügerisch ruhig. »Ist es dir so ergangen, Olivia?«
Ihr Nicken war so verhalten und steif, dass er es beinahe übersehen hätte. »Ich weiß, was du denkst, dass es nie passiert wäre, wäre ich bei dir geblieben, statt wegzulaufen.
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