Leidenschaft, Die Dich Verfuehrt
hast, Bruder. Du hast mir doch erzählt, daß du für den Eigentümer der Kutschen- Li nie arbeitest.«
Tristan grinste verschmitzt. »Das tue ich ja auch. Ich habe noch nie härter für jemanden gearbeitet als für mich selbst - vielleicht abgesehen von meinem Pa, als ich noch zu Hause auf der Ranch war.« Seine Augen funkelten nicht mehr, das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht und machte einer gewissen Traurigkeit Platz. Shay wusste , daß dahinter eine lange Geschichte steckte, aber jetzt war nicht die Zeit, um Fragen zu stellen. Wenn Tristan seine Geschichte erzählen wollte, dann würde er es eines Tages tun. Zwingen lassen würde er sich ohnehin nicht dazu.
Tristan öffnete eine der Satteltaschen, zog ein schmales Buch heraus, das in schäbiges Ölpapier eingeschlagen war, lind reichte es Shay. »Hier. Das ist das Tagebuch unserer Mutter. Es wird dir ein bisschen mehr über unsere Familie, die Killigrews, erzählen. Ich habe das Buch mindestens hundertmal gelesen und kenne es auswendig. Wenn du willst, kannst du es gerne behalten.«
Shay betrachtete das dünne Bändchen, das voller Eselsohren und Flecken war, und muss te mit widerstrebenden Gefühlen kämpfen. Einerseits wollte er es auf der Stelle verschlingen und Seite für Seite, Wort für Wort lesen, aber andererseits befürchtete er, daß der Inhalt, der sicher in einer zarten Frauenhandschrift geschrieben war, die Grundfesten seines ganzen Lebens erschüttern könnte. Deshalb war sein Wunsch, das Büchlein einfach ins Gebüsch zu werfen oder es Tristan zurückzugeben, ebenso stark wie sein Verlangen, es zu lesen.
»Ein Mann sollte seinen Ursprung kennen und wissen, woher er stammt und wer er ist«, fuhr Tristan ruhig fort, und Shay wurde bewusst , wieviel er von sich preisgegeben hatte, als er nur still dagesessen hatte und das Tagebuch seiner leiblichen Mutter angestarrt hatte.
»Ich weiß, wer ich bin«, erwiderte Shay, aber er war nicht mehr so ganz sicher, ob das der Wahrheit entsprach. Zumindest war es nicht die ganze Wahrheit. Wenn er jetzt zurückdachte, erinnerte er sich daran, daß er häufig das Gefühl gehabt hatte, nur halb zu sein, als ob ein wesentlicher Teil von ihm fehlte. Vielleicht hatte er immer gespürt, daß es Tristan gab - an dessen Existenz im Mutterleib er sich vielleicht un bewusst erinnert hatte.
Tristan ließ seinen Blick über die Prärie wandern, um seinem Bruder die Gelegenheit zu geben, seine Fassung und seine Würde zurückzugewinnen. »Du solltest Aislirtn heiraten und dich mit ihr niederlassen, um eine Familie zu gründen und ein paar Kinder großzuziehen, kleiner Bruder«, sagte Tristan nach einer Weile. »Du hast zwar die meiste Zeit deines Lebens hier in Prominence verbracht, aber ich schätze, du hast auf der Suche nach einem Heim in Gedanken schon die halbe Erde durchwandert.«
Shay räusperte sich und steckte das Tagebuch seiner Mutter in seine eigene Satteltasche. Der Gedanke, mit Aislinn eine Familie zu gründen, war ihm gar nicht mal unangenehm, aber zuerst muss te er andere Dinge erledigen. »Bist du so eine Art Philosoph?« brummte er.
Tristan lachte leise in sich hinein. »Nein, aber ich bin die andere Seite der gleichen Münze. Wie ich dir schon einmal gesagt habe: Ich kenne dich so gut, weil ich mich selbst kenne.«
Das war mehr, als Shay von sich behaupten konnte, aber im Gegensatz zu ihm hatte Tristan Zeit gehabt, sich an den Gedanken zu gewöhnen, einen Zwillingsbruder zu haben. So etwas muss te auch ein erwachsener Mann erst einmal verdauen. »Hast du irgendwo eine Braut versteckt?« fragte er, weil er wissen wollte, ob sein Bruder auch in dieser Hinsicht ähnlich empfand wie er selbst.
Tristan lächelte und die Blätter der Birken, die sich im Wind bewegten, warfen Schatten auf sein Gesicht. »Nein, aber wenn du so blöd bist, nicht zu merken, daß Miss Aislinn Lethaby dich mag, könnte ich sie dir vielleicht schneller ausspannen, als du deinen Fünfundvierziger ziehen kannst.«
Shay verzog das Gesicht. »Soll das heißen, daß du hier in der Gegend bleiben willst, nachdem wir Billy und Kyle Senior dingfest gemacht haben? Was ist denn mit deiner Kutschen-Linie? Muss t du dich darum nicht kümmern?«
»Oh, es gefällt mir hier in Kalifornien wirklich gut! Ich habe ein Auge auf ein Stück Land südlich der Powder Creek Ranch geworfen. Ich habe es mir heute Morgen mal angesehen. Gutes Land, um Rinder zu züchten und Kinder aufzuziehen.« Er ließ diese Be m erkung einen Moment wirken und
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