Leidenschaft in Rot
Gesicht zum Fenster gedreht. Ich konnte nicht sehen, ob sie die Augen offen oder geschlossen hatte. Ich betrachtete ihre Hände, die in ihrem Schoß auf dem genoppten Stoff ihres Kostümrocks lagen. Wenn man Hände lange genug anschaut, kann man sie sich als die Pfoten eines Tiers vorstellen. Ihre Hände waren ein wenig länger, als sie es idealerweise vielleicht hätten sein sollen. Sehr lange, kräftige Finger, ovale, ziemlich schmale gewölbte Nägel. Die Fingerkuppen und die Handballen waren schwer. Die Handrücken wirkten sehr glatt und jugendlich. Man schaut sich Hände wie Tierpfoten an, und man denkt an die tierischen Aspekte des Menschen. Und plötzlich ist man wieder auf dieser Terrasse am Pazifik und sieht diese extremste und gefährlichste Form der Wollust vor sich.
Vielleicht, dachte ich, ist das die endgültigste Art, Menschen einzuordnen: danach, wozu sie fähig sind. Die Versuchung liefert die meisten von uns nicht dem Bösen aus, denn die Versuchung ist ständig da, während das Böse bei den meisten von uns etwas Vorübergehendes ist.
Bisher hatte ich nur zwei Personen gesehen, deren Lebensmuster sie, fast unausweichlich, zu dieser Terrasse geführt hatte. Eine davon hatte ihr ganzes Leben als Erwachsene über im Rampenlicht gestanden, getrieben von rastloser Gier, emotionaler Labilität und dem Bedürfnis, aufzufallen. Ihre Künstlichkeit hatte es lediglich zu einer weiteren Rolle gemacht, die ihr nicht einmal da besonders real erschienen war, als es passierte. Die jüngere war schon lange zum Fraß von Jack Londons Nasenlosem geworden, bevor Abelle und die M’Gruders sie auf diese Terrasse geschleppt hatten. Die war, wie Mexiko, wie die Tour mit Sonny Catton, nur ein weiterer Schritt auf dem Weg der Selbstzerstörung.
Mit Catton würde ich nie mehr reden können. Vielleicht hätte es ihn sowieso einen Dreck gekümmert. Bevor eine Seele Empörung empfinden kann, muß sie erst einmal existieren. Für ein Scheusal wie Sonny war wahrscheinlich eine Braut so gut wie die andere, und wenn sie im Dutzend kamen anstatt nacheinander, dann war es ihm auch recht. Eine hatte er mitgebracht und sie für eine, die ihm besser gefiel, abgeschoben. Für ihn bedeutete das vielleicht nicht mehr, als etwas im Laden umzutauschen.
Ich konnte einfach nicht sein wie Sonny. Ich hegte noch die alten Illusionen. Darunter die, daß ich im Lauf der Zeit vielleicht ein bißchen, ein ganz kleines bißchen an Weisheit gewinnen würde. Und der Weise sagt, daß es an der Ladentheke keine wirklichen Werte gibt. Der Weise sagt, daß die einzigen Werte die sind, die man sich selbst setzt. Und ich habe mich in die prekäre Rolle eines Ritterclowns in Blechbüchsenrüstung begeben, der mit seinem Blechschwert auf Ungeheuer eindrischt, denen das ganz gleichgültig ist. Eines der Merkmale des Ritters, selbst des komischen, ist die Verehrung der Frau, und vielleicht ist sogar meine Art der Verehrung inzwischen aus der Mode. Obwohl ich es manchmal auch nicht geschafft habe, will ich, daß eine Beziehung, wenn sie intim wird, auf einer sicheren Basis von Vertrauen, Zuneigung, Respekt beruht. Nicht einfach nur um zu nehmen, Punkte zu machen, zu benutzen oder etwas zu beweisen. Damit fallen Gruppensex-Abenteuer von vornherein unter den Tisch. Nicht zur Erholung, nicht aus gesundheitlichen Gründen, nicht um soziologisch wertvolle Kontakte aufzubauen. Sondern weil sie eine Frau und kostbar ist. Und man selbst ist ein Mann und ebenso kostbar. Es laufen genügend Mädels und Jungs herum. Na, sag’s schon, McGee. Sag es. Okay, der Liebe und ausschließlich der Liebe wegen. Es sind Menschen, verdammt, keine pneumatischen, hydraulischen Terrassenspielzeuge. Nicht unbedingt Héloïse und Abélard, Romeo und Fräulein Capulet oder auch nur Dornröschen und der Prinz. Sondern einfach nur ein Krümchen irgendeiner Art von Liebe, Junge. Von Liebe, die es schön macht, sie in den Armen zu halten, die einen wärmt, wenn man ihr Worte ins Ohr flüstert, auch wenn das Feuerwerk im Park schon längst erloschen ist. Und das geht nicht mit einem Terrassenspielzeug.
Dana rollte mit dem Kopf in meine Richtung und lächelte. »Ich wäre fast eingeschlafen.« Sie gähnte und legte die Hand vor den Mund. »Sie kennen das sicher, wenn man über etwas nachdenkt, und dann alles verrückt wird und dann wieder real und man weiß, daß es sich mit einem Traum vermischt hat.«
»Erzählen Sie mir den verrückten Teil.«
»Der ist wirklich ganz dumm, Trav. Ich habe
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