Leidenstour: Tannenbergs neunter Fall
das kann ich Ihnen versprechen.«
»Hör jetzt endlich auf mit diesem albernen Quatsch. Wir sind doch nicht im Kindergarten«, schimpfte Tannenberg.
»Nee, eher im Altersheim. Da hauen sich die Leute nämlich auch oft die Birne blutig.« Der Rechtsmediziner sondierte seinen Freund mit einem mitleidigen Blick. »Du Armer, du tust mir richtig leid. Wobei ich, ehrlich gesagt, finde, dass dir dieses dekorative Pflaster richtig gut steht.« Er klatschte erneut in die Hände. »Aber zurück zu unserem Quiz. Zwei falsche Antworten hast du ja schon abgegeben. Und nun kommt hundertprozentig die dritte«, orakelte er. »Denn die nächste Preisfrage lautet: Auf welche Art und Weise wurde Joop van der Miel dieses Arsenikum zugeführt?«
»Scheiß-Spiel«, fluchte Tannenberg. »Woher soll ich das denn wissen?«
»Tja, da kann man nichts machen«, meinte Dr. Schönthaler achselzuckend. »Wie schon erwähnt handelt es sich bei dieser Arsenvergiftung nicht um eine akute, sondern um eine schleichende. Mit anderen Worten: Das Gift wurde Joop van der Miel über einen längeren Zeitraum verabreicht.«
»Wäre er daran gestorben?«
»Ja, sicher.«
»Und wann?«
»Schwer zu sagen.« Der Pathologe stülpte die Unterlippe vor und wiegte den Kopf hin und her. »Wahrscheinlich hatte er kaum mehr als ein paar Monate zu leben. Aber, wer weiß, vielleicht war der Täter ja gerade dabei, die Dosis zu erhöhen. Oder er wollte ihm schon bald eine letale Dosis verabreichen.« Er schlenderte zu einem Regal und griff dort eine Edelstahlschale heraus. »Hierin befindet sich der Mageninhalt des Toten.«
»Stell sofort das Ding wieder hin«, forderte Tannenberg.
Breit grinsend blieb der Pathologe stehen. Allerdings schob er den Arm noch ein Stückchen weiter nach vorne. »Willst du dir das denn nicht mit deinen eigenen Äuglein anschauen? Wäre übrigens sehr aufschlussreich für dich.«
»Warum?«
»Weil es dich persönlich tangiert.«
»Wieso denn das?«
Dr. Schönthaler griff einen pinzettenartigen Gegenstand, dippte ihn in die Schale und zeigte seinem Freund einen kleinen dunklen Klumpen.
»Bäh«, stieß Tannenberg entsetzt aus und wandte sich angewidert ab.
»Mann, stell dich nicht so an. In deinem Magen sieht’s zurzeit genauso aus. Oder glaubst du mir das etwa nicht?«
Der Leiter des K 1 strich sich über seinen Adamsapfel und schluckte hart.
»Das, was ich dir hier gerade zeige, ist nämlich nichts anderes als deine geliebte schwarze Schokolade. Allerdings wurde sie bereits ein wenig vom Verdauungsprozess in Mitleidenschaft gezogen. Es handelt sich um eine Sorte mit einem besonders hohen Kakaoanteil, also um solch eine, die du seit Kurzem präferierst.«
»Du machst doch gerade Witze, oder?«
»Seh ich etwa so aus?«
»Und da war das Arsen drin?«
»Jedenfalls habe ich in dieser Masse Arsen gefunden.«
»Wann hat er die Schokolade gegessen?«
»Der gute Mann hier hat sich diese Köstlichkeit circa zwei Stunden vor seinem Ableben einverleibt«, antwortete der Rechtsmediziner. »Also etwa gegen zwei, drei Uhr heute Nacht.«
»Wieso futtert der mitten in der Nacht Schokolade?«
Der Pathologe zuckte mit den Schultern. »Woher soll ich das denn wissen?« Er trat einen Schritt nach vorne. »Möchtest du mal kosten? Soll wirklich ausgesprochen gesund sein.«
Während Dr. Schönthaler grinsend das Schälchen zurück ins Regal stellte, sagte sein Freund mit belegter Stimme: »Wie erträgst du diesen Job eigentlich, ohne dabei den Verstand zu verlieren?«
»Bist du sicher, dass ich ihn überhaupt noch habe?«, retournierte der Pathologe umgehend. »Schließlich bin ich schon so lange mit dir befreundet, dass dein Wahnsinn inzwischen garantiert auf mich abgefärbt hat.«
»Nein, mal im Ernst, Rainer: Ich kann wirklich nicht verstehen, wie man solch eine frustrierende Arbeit tagein, tagaus erledigen kann.«
»Wieso sollte meine Arbeit denn frustrierend sein?«, fragte Dr. Schönthaler mit ernster Miene. »Im Gegensatz zu deinem Job sind meine Klienten schließlich ausgesprochen harmlose Gesellen, die keinem anderen Menschen mehr Leid zufügen können. Es sind die Lebenden, die dies tun! Ich kümmere mich um deren Opfer und versuche, ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Ich bin so etwas wie der letzte Anwalt der Ermordeten.« Schmunzelnd fügte er an: »Und zwar einer, den sie nicht einmal bezahlen müssen.«
7. Etappe
Wolfram Tannenberg flüchtete aus der morbiden Atmosphäre der Krankenhaus-Katakomben und
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