Leidenstour: Tannenbergs neunter Fall
Nachrichtenagenturen garantiert aus den Händen reißen werden. Er spürte intuitiv, dass es nicht mehr allzu lange dauern würde, bis die anderen Journalisten ihr unprofessionelles Verhalten begriffen hatten.
Noch bevor das erste fremde Blitzlicht aufflackerte, war Leppla bereits mit seinem Laptop an der Tür. Er rannte zur Rezeption, riss den Telefonstecker aus der Wand und stellte eine Internetverbindung her. Parallel dazu überspielte er die Fotos auf seinen Laptop und schickte sie per E-Mail-Anhang zur Deutschen Presse-Agentur, für die er als freier Bildjournalist arbeitete. Dann telefonierte er mit der dpa.
Es dauerte nur wenige Minuten, bis der Kontrakt unter Dach und Fach war. Die Fotos waren exklusiv verkauft. Er hatte hoch gepokert – und gewonnen. Er zitterte vor Aufregung, als er seinen Laptop zuklappte. Tränen der Freude standen in seinen Augen. Mit dem Ärmel seines Sommersakkos wischte er sie schniefend weg.
Mann, was für eine Stange Geld, schoss es ihm durch den Kopf. Wahnsinn! Was für ein Glück, dass ich heute hierhergekommen bin. Er ballte die Fäuste und warf sie triumphierend in Richtung des Speisesaals.
»Und ich war schneller als ihr alle! Der kleine«, er strich sich über sein kahles, an den Schläfen stachelndes Haupt und lachte dabei lauthals auf, »glatzköpfige Provinz-Redakteur Torsten Leppla war schneller als ihr alle! Jabbadabbaduuuuu! Ich bin einfach der Größte!«
Danach schlenderte er im Triumph des sicheren Siegers lässig zurück zum Ort des Geschehens, wo sich nach wie vor tumultartige Szenen abspielten. Diesmal allerdings nicht aufgrund einer reflexartigen Massenflucht, sondern wegen der Berufsgier nach brandheißen Sensationsfotos, dem Lebenselexier der lüsternen Meute. Die Kamerateams und Fotografen balgten sich regelrecht um die besten Plätze vor der blutbespritzten Glaskabine.
Rechts neben dem Blitzlichtgewitter stand Hauptkommissar Tannenberg von der Kaiserslauterer Mordkommission und versuchte, sich wild gestikulierend Gehör zu verschaffen. Doch er hatte keine Chance.
Wieso ist der denn eigentlich schon da?, fragte sich Leppla verwundert. Er blickte auf die Rolex-Imitation, die er bei seinem letzten Türkei-Pauschalurlaub für ein paar Euro auf einem Basar erstanden hatte. Der kann doch gar nicht so schnell da gewesen sein. Der war bestimmt bereits vorher hier. Das hat garantiert etwas mit dem Mord an dem Turbofood-Mechaniker zu tun.
Der PALZ-Sportjournalist klatschte sich an die Stirn. Logo, der Kronzeuge ist garantiert ein Turbofood-Fahrer. Das wäre ja der absolute Knaller. Dann können die ihre Tour-de-France-Teilnahme in den Wind schreiben. So wie ich den Tannenberg, diesen alten Chaoten, kenne, lässt der diese ganze Bagage sofort verhaften und buchtet sie so lange ein, bis einer von ihnen die beiden Morde gestanden hat. Wow! Da geht jetzt richtig der Punk ab – und ich bin mittendrin!
In der Gewissheit, eben den Deal seines Lebens gemacht zu haben, beobachtete er mit einem süffisanten Schmunzeln den Kampf der Reporter um die Fleischtöpfe, die allerdings bei Weitem nicht mehr so voll waren, wie seine Kollegen meinten. Arme Schweine, dachte er. Aber es kann eben nicht jeder das große Los ziehen.
Den Reporter einer überregionalen Tageszeitung, den er ebenfalls von der Pressetribüne des Fritz-Walter-Stadions her kannte, bedachte er mit einem abschätzigen Blick. Beeil dich mal, mein Junge, damit du wenigstens noch auf die zweite Seite deiner Schrottzeitung kommst. Er tippte sich auf das Brustbein. Mir dagegen gehören die Titelseiten der internationalen Presse!
Soll ich nicht gleich noch ein paar Fernsehsender anrufen und mich als Talkshow-Gast anbieten? Schließlich war ich bei diesem Anschlag live dabei. Dass ich sehr gut verhandeln kann, habe ich ja gerade bewiesen. Er grübelte einen Moment über seine Idee nach, doch dann verschob er die Entscheidung auf später, schließlich gab es für ihn hier noch einiges zu tun. Zum Beispiel, weitere Fotos zu schießen und Interviews zu führen.
Wolfram Tannenberg hatte nach der Detonation geistesgegenwärtig reagiert und sofort die Einsatzzentrale verständigt. Schon ein paar Minuten später trafen mehrere Streifenwagen und Ambulanzen vor dem unmittelbar am Stadtpark gelegenen Hotel ein. Der Kommissariatsleiter empfing seine uniformierten Kollegen an der Tür zum Speisesaal und wies sie an, sofort die wild gewordenen Journalisten aus dem Raum zu drängen und den Tatort abzuriegeln.
Einige der
Weitere Kostenlose Bücher