Leidenstour: Tannenbergs neunter Fall
Spurenexperte schob grüblerisch die Brauen zusammen und zupfte an seinem linken Ohrläppchen. »Ich denke, zwei Orte eignen sich besonders gut für die Deponierung des Sprengsatzes. Zum einen die Unterseite des Tisches …« Er schüttelte den Kopf. »Nee, eigentlich sind es drei Orte«, korrigierte er sich: »Unterseite von Tisch und Stuhl. Außerdem das Mikrofon. Ja, ich vermute mal, dass man dort den Sprengstoff platziert hat. Denn auf diese Weise konnte man die beste Wirkung erzielen.« Er räusperte sich verlegen. »So makaber dies auch klingen mag.«
»Reicht denn dafür der Platz?«, wollte der Rechtsmediziner wissen. »In so einem Mikrofon ist …«
»Ja, klar«, fiel ihm der Kriminaltechniker ins Wort.
Tannenberg brummte nachdenklich. »Wenn man diese einzelnen Faktoren addiert, spricht wohl vieles für eine extrem hohe kriminelle Energie und Professionalität.«
»Und damit für die organisierte Kriminalität«, ergänzte Dr. Schönthaler.
»Konkreter gesagt für die Doping-Mafia«, versetzte Mertel. »Die vor allem aus Clans der Russen- und Tschetschenen-Mafia besteht. Und die verfügen über beides: Sprengstoff und technisches Know-how.«
»Wir kennen die Identität des Toten«, rief Sabrina Schauß von der Eingangstür des Speisesaals her. Vom aufflackernden Blitzlichtgewitter der von ihren Kollegen nur mühevoll im Zaum gehaltenen Fotografenmeute begleitet, eilte sie im Laufschritt zur Glaskabine. So leise, dass die Journalisten in ihrem Rücken sie nicht hören konnten, sagte sie: »Es handelt sich bei dem Toten um Dr. Schneider, den Mannschaftsarzt des Turbofood-Teams.«
»Ach, du Scheiße«, zischte ihr Vorgesetzter und legte eine Hand auf seinen Mund, so als wolle er diesen Fäkalienausdruck wieder zurückschieben. »Von wem hast du das?«
»Von dem Assistenten des Geschäftsführers, der da draußen bei den Sanitätern sitzt und keinen Ton mehr rauskriegt. Ihm gegenüber hat dieser Dr. Schneider angekündigt, heute Abend eine Bombe platzen zu lassen.«
»Daraufhin hat ihn anscheinend einer ganz genau beim Wort genommen«, bemerkte der Rechtsmediziner, dessen makabrer Pathologenhumor inzwischen zurückgekehrt war.
»Weiß dieser Assistent etwas über belastendes Material, mit dem der Arzt seine Behauptungen beweisen wollte?«
»Nein, Wolf, angeblich nicht. Die ganze Geschichte sei streng geheim gewesen und nur er und sein Chef hätten direkten Kontakt zu Dr. Schneider gehalten.« Sabrina zuckte mit den Schultern. »Aber vielleicht sagt dieser Assistent auch nicht die ganze Wahrheit. Der Mann war sehr nervös und hat manch wirres Zeug geredet.«
»Kein Wunder, bei dem, was hier passiert ist«, sagte der Gerichtsmediziner, rückte seine Fliege zurecht und machte sich wieder an die Arbeit. Er reckte einen Arm in Mertels Richtung. In der Hand hielt er einen blutverschmierten Fetzen Schaumstoff. »Könnte das hier vom Mikrofon stammen?«
Der Kriminaltechniker nahm den Fetzen entgegen und begutachtete ihn. »Ja, das könnte sein. Komm, jetzt lass mich endlich wieder rein.«
Dr. Schönthaler drehte den Kopf zu ihm hin. »Das würde ich an deiner Stelle nicht tun.«
»Wieso?«
»Weil der Herr Kollege Sportmediziner eben noch gezuckt hat. Ich hab es deutlich gesehen.«
Mertel schreckte zurück. »Idiot«, schimpfte er.
»Nein, wirklich, Karl. Dieses Phänomen lässt sich übrigens ganz einfach erklären: Wir Medizinmänner sind nun mal bedeutend zäher und lebenswilliger als hundsgewöhnliche Menschen wie ihr beide.«
»Rainer, fährst du bitte mit uns zum Antonihof?«, bat Tannenberg, ohne auf die makabren Bemerkungen einzugehen. »Wir müssen unbedingt Dr. Schneiders Patientenkartei sicherstellen, bevor das ein anderer tut.«
»Hoffentlich ist uns da noch keiner zuvorgekommen. Deshalb sollten wir uns besser beeilen. Hier stören wir ja doch nur den Herrn Ober-Dreckschnüffler. Außerdem muss ich sowieso warten, bis das, was von meinem werten Kollegen übriggeblieben ist, in die Pathologie gebracht wird. Ich werde mich übrigens auf demjenigen Tisch mit ihm beschäftigen, auf dem noch vor ein paar Stunden ein tollpatschiger Kriminalbeamter lag und wie ein Weichei herumgepienst hat.«
Tannenberg ließ zunächst abschätzig die Augen rollen. Doch dann tastete er vorsichtig nach der genähten Wunde auf seinem Kopf. Das Pflaster war noch da – und die Kopfschmerzen kehrten gerade schlagartig zurück.
Sabrina begleitete die beiden Männer auf ihrer Fahrt zu dem weit
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