Leidenstour: Tannenbergs neunter Fall
kauerte noch immer auf der weißen Ledercouch wie ein Häuflein Elend. Ihr Oberkörper war nach vorne gebeugt, die Hände lagen wie betend auf ihrem Schoß und das Kinn berührte den hageren Brustkorb. Ihr Atem ging schwer und wurde von stakkatoartigem Aufschluchzen unterbrochen. Sabrina hatte ein Glas Wasser auf den niedrigen Tisch gestellt und reichte ihr gerade ein Taschentuch. Die Frau nahm es nickend entgegen und tupfte sich mit der anderen Hand die Nässe aus dem Gesicht. Die schwarze Farbe von Lidstrich und Wimperntusche hatte Linien der Trauer auf ihre Wangen gezeichnet. Die Frau stöhnte leidend auf.
»Heiko war doch so ein lieber Mensch«, jammerte sie mit tränenerstickter Stimme. Ein verzweifelter Blick arbeitete sich von Tannenbergs Schuhen aus nach oben. »Wieso ausgerechnet er?«
»Das wissen wir leider noch nicht«, antwortete der Ermittler wahrheitsgemäß. »Möglicherweise könnte der Tod Ihres Mannes etwas mit Doping zu tun haben. Wissen Sie etwas darüber?«
Ein Ruck ging durch den zerbrechlichen Körper der Mittvierzigerin. Sie richtete sich auf, kniff die geröteten Augen zusammen und erklärte in barschem Ton: »Doping? Nein!« Entschieden blickte sie den Kommissar an. »Damit hatte Heiko nie etwas zu tun. Da bin ich mir hundertprozentig sicher. Er ist immer und überall für einen sauberen Sport eingetreten.«
Bist du so naiv oder tust du nur so?, fragte sich Tannenberg in Gedanken. Teamarzt einer erfolgreichen Profi-Mannschaft – ohne Dopingmittel einzusetzen? Und das im Radsport? Wer soll das denn deinem Heiko abnehmen. Ich jedenfalls nicht!
»Ihr Mann hat Ihnen gegenüber also nie etwas von Doping-Praktiken im Turbofood-Rennstall erwähnt?«, formulierte er die Frage ein wenig um.
Eva Schneider fasste sich ans Kinn und starrte ihr Gegenüber mit offenem Mund an. »Um Gottes willen, nein. Heiko hätte bei so etwas niemals mitgemacht.«
»Seit wann arbeitete er denn bei dieser Mannschaft?«, wollte Sabrina wissen.
Frau Schneider stülpte die Unterlippe vor und warf die Stirn in Falten. »Fünf? Nein, fast sechs Jahre.«
Und in der ganzen Zeit will er nie etwas mit Doping zu tun gehabt haben? Wer’s glaubt, wird selig!, spottete der Leiter der Kaiserslauterer Mordkommission im Stillen. Obwohl ihm einige provokative Sätze auf den Lippen lagen, behielt er sie in Anbetracht der traurigen Umstände doch lieber für sich.
»Besitzt Ihr Mann einen Laptop?«, fragte Sabrina.
Die Ehefrau des Sportmediziners schob die gezupften Brauen zusammen. »Natürlich«, erwiderte sie in pikiertem Tonfall. »Selbst wir hier in Worms leben nicht mehr im Mittelalter.«
»Obwohl hier jedes Jahr die Nibelungenfestspiele stattfinden«, nuschelte Tannenberg, der sich an der Wand neben dem offenen Kamin gerade Familienfotos betrachtete.
»Bitte?«, ertönte es hinter seinem Rücken.
Der Kriminalbeamte drehte sich um. »Ach, nichts weiter. Wissen Sie zufällig, wo Ihr Mann seinen Laptop während der Trainingslager normalerweise aufbewahrte?«
»Ich nehme an in seinem Hotelzimmer, wo denn sonst?«, kam es schnippisch zurück.
Warum bist du denn plötzlich so giftig?, fragte sich der Leiter des K 1.
»Haben Sie irgendeinen Verdacht, wer hinter dem heimtückischen Attentat auf Ihren Mann stecken könnte?«, wollte Sabrina wissen.
Eva Schneider schüttelte den Kopf und sank wieder in ihre Traurigkeit zurück. »Nein, keine Ahnung.«
Tannenberg beobachtete die aparte Frau, wie sie sich eine neue Zigarette anzündete.
Was ziehst du hier nur für eine billige Show ab?, sagte er zu sich selbst. Ist deine Ehe vielleicht schon lange im Eimer und du spielst uns die trauernde Witwe nur vor? Machst du schon Pläne, wie du mit deinem Lover seine Lebensversicherung durchbringst? Alles schon erlebt, mein Herzchen. Du verheimlichst uns doch irgendwas. Nur was?
Nachdem er Frau Schneider aufgetragen hatte, sich am kommenden Morgen in der Pathologie des Westpfalz-Klinikums einzufinden, um ihren verstorbenen Mann zu identifizieren, verabschiedeten sich die beiden Kriminalbeamten und machten sich auf den Weg zurück in die Barbarossastadt.
11. Etappe
Donnerstag, 2. Juli
Der notorische Morgenmuffel Wolfram Tannenberg hatte ausgesprochen schlecht geschlafen. Die halbe Nacht über hatte er sich in seinem Bett herumgewälzt und immer und immer wieder den Besuch bei Dr. Schneiders Ehefrau gedanklich Revue passieren lassen. Nun saß er übellaunig an seinem Schreibtisch und las den vorläufigen Bericht über die
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