Leidenstour: Tannenbergs neunter Fall
Obduktion des zweiten Mordopfers. Den Angaben des Rechtsmediziners zufolge hätte sich der Tote wahrscheinlich noch eines langen Lebens erfreuen dürfen.
»Ausgezeichneter Gesundheitszustand«, murmelte der Leiter des K 1 vor sich hin. »Und, was hast du nun von deiner Fitness gehabt? Nix! Und warum? Weil der liebe Gott sein Veto eingelegt hat. Das ist auch nur die gerechte Strafe für das, was du jahrelang getan hast. Skrupellose Typen wie dich sollte man in Ketten legen! Damit ihr Mistkerle die jungen Sportler nicht weiter krankspritzen könnt.«
Zornig kniff er Augen und Mund zusammen. »Ihr Teamärzte seid doch diejenigen, die diese armen Zweirad-Junkies mit Drogen versorgen. Ohne euch gäbe es diese Blut-Panschereien doch überhaupt nicht. Und ihr wollt Mediziner sein, die sich dem Eid des Hippokrates verpflichtet haben?«
Er stieß ein höhnisches Grunzgeräusch aus. »Dass ich nicht lache! Wisst ihr, was ihr seid: geldgeile Handlanger der internationalen Doping-Kartelle.«
Tannenberg legte den Obduktionsbericht beiseite und stöberte in den Datenbanken nach der in Worms polizeilich gemeldeten Eva Schneider. »Beruf: Schauspielerin – das ist es«, jubilierte er, als er beim Einwohnermeldeamt fündig geworden war.
Ich hab die ganze Zeit über gespürt, dass mit der etwas faul ist. Die hat uns also nur Theater vorgespielt. Wir müssen so schnell wie möglich die finanziellen Verhältnisse dieses angeblichen Traum-Ehepaares überprüfen, sagte er zu sich selbst, während er einen seiner Kollegen zu erreichen versuchte. Doch in ihren Büros hielten sie sich offenkundig nicht auf.
Er drückte eine Taste der Gegensprechanlage: »Flocke, weißt du vielleicht, wo die anderen sind?«, rief er in Richtung des Plastikkästchens.
»Nein, aber in zehn Minuten ist Frühbesprechung. Bis dahin sind sie bestimmt alle da.«
»Ja, sicher, Flocke.« Tannenberg schmökerte noch ein wenig im Obduktionsbericht. Plötzlich hörte er Stimmen. Er öffnete seine Bürotür. »Da seid ihr ja endlich«, rief er mit vorwurfsvollem Unterton.
»Guten Morgen, lieber Wolf«, tönte es ihm mehrstimmig entgegen.
»Moin«, grummelte er und drehte seinen Mitarbeitern den Rücken zu.
Petra Flockerzie braute ihrem unausgeschlafenen Chef einen doppelten Espresso. »Weckt selbst die müdesten Geister wieder auf«, behauptete sie schmunzelnd, während sie ihm die dampfende Tasse reichte.
»Danke«, brummelte er.
»Möchten Sie dazu nicht einen Riegel schwarze Schokolade genießen? Ich hab immer einen kleinen Vorrat in meiner Schreibtischschublade.«
»Nein«, kam es gedehnt zurück.
»Die würde Ihrer schlechten Laune aber guttun.«
»Flocke«, knurrte der Kommissariatsleiter bedrohlich.
»Ich hab’s ja nur gut gemeint«, entschuldigte sich die Sekretärin und verließ beleidigt sein Büro.
Tannenberg informierte in Kurzfassung seine Kollegen über die Ereignisse der vergangenen Nacht. Anschließend trottete er zur Tafel und malte einen Doppelpfeil zwischen die Namen der beiden Mordopfer.
»Welche Verbindung existiert zwischen diesen beiden Herren?«, fragte er in die Runde.
In diesem Augenblick betrat Karl Mertel den Raum. »Wolf, vor ein paar Minuten hat mir der Doc das Ergebnis der toxikologischen Analyse dieser Anti-Aging-Pralinen gefaxt. Keine einzige war mit Arsen kontaminiert.«
»Also nur diejenige, die der Mechaniker im Magen hatte«, erwiderte Tannenberg. Nach einem kurzen Brummgeräusch ergänzte er: »Diese Tatsache spricht wohl eindeutig für einen heimtückischen Mordanschlag auf ihn.«
»Nein«, gab Mertel lapidar zurück und setzte sich zu seinen Kollegen an den Konferenztisch.
Tannenberg blickte ihn verdutzt an. »Wieso nein?«
»Weil ich daraufhin den Doc angerufen habe.« Ein breites Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Und der hat mir dann kleinlaut gebeichtet, dass er wohl ein wenig zu voreilig war.«
»Womit?«
»Mit seiner Aussage, dass die Schoko-Praline in Joop van der Miels Magen vergiftet gewesen sei. Das Arsen könnte nämlich weitaus wahrscheinlicher von den Meeresfrüchten stammen, die das Opfer anscheinend sehr häufig verzehrt hat. In seinem Service-Lkw haben wir jedenfalls eine Unmenge Dosen mit Miesmuscheln entdeckt. Das muss wohl seine Leibspeise gewesen sein.«
»So ein Mist«, fluchte der Kommissariatsleiter. »Dann wurde er also gar nicht vergiftet.«
»Sondern hat sich mit diesem ekligen Zeug langsam aber stetig selbst vergiftet«, ergänzte Mertel, dem grundsätzlich kein
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