Leidenstour: Tannenbergs neunter Fall
Fundort mit rot-weißen Plastikbändern abtrassiert. Vor den Absperrungen hatten sich inzwischen Dutzende Schaulustige versammelt, die, mit Badematten, Luftmatratzen und Kühltaschen bepackt, interessiert die Polizeibeamten bei ihrer Routinearbeit beobachteten.
Kriminalhauptmeister Krummenacker empfing den Leiter der Kaiserslauterer Mordkommission und gab auf dem Weg zum Leichenfundort einen betont kurz gehaltenen Lagebericht ab. Dr. Schönthaler war bereits an Ort und Stelle und inspizierte gerade den Toten, während Mertel das Szenario fotografisch für die Nachwelt festhielt.
Der männliche Leichnam lag auf der Seite und befand sich in einem für eine Wasserleiche ausgesprochen vorzeigbaren Zustand. Lediglich die typischen Schrumpfungserscheinungen der Haut an Händen und Füßen zeugten von einer etwas längeren Lagerung des Körpers im Wasser.
»Der Knabe hier hat höchstens drei bis vier Stunden im See gebadet«, beantwortete der Rechtsmediziner die Frage, die seinem alten Freund in diesem Augenblick auf der Zunge lag. »Ach, bevor ich’s vergesse, Wolf«, fuhr er nach einer kurzen Pause fort: »Vorhin war Dr. Schneiders Ehefrau bei mir und hat ihren Mann identifiziert. Die Arme war völlig fertig.« Er seufzte tief. »Na ja, kein Wunder, war schließlich wirklich kein schöner Anblick für sie.«
Tannenberg nahm diese Mitteilung nur am Rande war. Gedankenverloren blickte er in das aschgraue Männergesicht.
»Ach, du Scheiße, das ist ja der Leppla«, stieß er entgeistert aus.
»Leppla? Kenn ich nicht«, grummelte Dr. Schönthaler vor sich hin. »Wer ist das?«
»Torsten Leppla, freiberuflicher Sportjournalist bei der PALZ«, erläuterte der Kriminalbeamte.
»Ja, sicher kenne ich den vom Namen her. Das ist doch dieser unkritische Hofberichterstatter der FCK-Führung. Munkelt man nicht über den, dass er für einen wohlwollenden Artikel gerne mal die Taschen aufhält?«
»Genau der ist es. Ein ausgesprochen unsympathischer und aufdringlicher Zeitgenosse war das.«
Der Pathologe lehnte sich so weit über den Leichnam, dass er seinen Freund fast mit der Nasenspitze berührte, und flüsterte. »Dann ist es ja wohl nicht unbedingt schade um ihn gewesen.«
Diese pietätlose Äußerung ging selbst Tannenberg ein wenig zu weit. »Mensch, Rainer«, zischte er, »wenn das jemand hört.«
»Na, wenn schon«, erwiderte Dr. Schönthaler. Er grinste den Kriminalbeamten frech an und wies auf den toten Journalisten. »Im Gegensatz zu mir hat unser nasser Kamerad hier solch ein Dummschwätzer-Problem ja glücklicherweise nicht mehr. Den hat nämlich jemand endgültig mundtot gemacht. Der kann nie mehr etwas sagen. Weißt du auch, warum?«
Tannenberg rollte die Augen. »Na, das ist nun wirklich nicht schwer zu erraten, du alter Scherzkeks«, grunzte er. »Weil er tot ist.«
»Aber auch, wenn er nicht tot wäre, könnte er seine Umgebung nicht mehr mit seinen dummen Sprüchen nerven.«
»Hmh?«, fragte sein Gegenüber verständnislos.
Der Gerichtsmediziner fummelte an der Hosentasche des Toten herum, zog etwas Fleischiges heraus und legte es auf Lepplas Hüfte ab. »Weil man ihm die Zunge herausgeschnitten hat.«
Während Tannenberg vor Abscheu einen Satz rückwärts machte und mit einem Fuß im Wasser landete, fuhr sein Freund fort. »Deshalb wählte ich auch das geniale Wortspiel ›mundtot machen‹, das mir aufgrund seiner metaphorischen Doppeldeutigkeit ausgesprochen passend erschien«, verkündete er in Poetenmanier.
»Mann, pack sofort das eklige Ding weg«, keuchte der Kriminalbeamte, dessen fahle Gesichtsfarbe sich inzwischen nur noch unmerklich von der des Toten unterschied. Angewidert zog er seinen Schuh aus dem Morast und beschimpfte seinen Freund. »Das ist allein deine Schuld! So eine Sauerei.«
»Von wegen meine Schuld. Was bist du bloß für ein elendes Weichei«, konterte der Pathologe, während er die Zunge des Opfers in einen Asservatenbeutel steckte. »So ein ekliges Ding hast du übrigens auch im Mund.«
Tannenberg wandte sich von ihm ab. Er stützte die Hände auf die Hüftknochen und schnappte wie ein an Land geworfener Fisch nach Luft. Dann schaute er sich um. Er war geradezu eingekreist von den schadenfroh grinsenden Gesichtern seiner Kollegen. Nur Sabrina warf ihm einen mitfühlenden Blick zu.
»Diese makabre Inszenierung sieht eindeutig nach einer Strafaktion aus. Ihre Botschaft ist klar: ›Wer redet, stirbt!‹«, spekulierte Dr. Schönthaler und hantierte am Hals
Weitere Kostenlose Bücher