Leidenstour: Tannenbergs neunter Fall
darunter. Wie du gestern ja selbst gesehen hast, fehlen allerdings auch weiterhin die Unterlagen über den Mechaniker und diesen Jungprofi Scheuermann.«
»Vielleicht gibt es dafür eine recht einfache Erklärung«, mischte sich Sabrina ein. »Wenn der Mechaniker kein Patient von Dr. Schneider war, wurde für ihn auch keine Patientenkarte angelegt. Und über Florian Scheuermann existiert vielleicht deshalb noch nichts, weil er erst vor Kurzem zum Team gestoßen ist.«
»Sicher, das könnten die Gründe sein«, stimmte ihr Vorgesetzter zu.
Er trank einen großen Schluck Mineralwasser und wischte sich anschließend die Feuchte mit dem Handrücken von den Lippen.
»Verflucht«, schimpfte er plötzlich los, »irgendwo müssen diese Aufzeichnungen doch deponiert sein. Dieser Dr. Schneider hat doch garantiert akribisch Buch über seine Menschenversuche geführt. Schließlich handelt es sich dabei um wissenschaftliche Studien, die eine Menge Geld kosten und die über die Effizienz der zu erprobenden Substanzen Aufschluss geben sollen. Wir müssen unbedingt seinen Laptop finden. Deshalb brauchen wir eine Durchsuchungsanordnung für das Privathaus der Schneiders.« Er schnipste mit den Fingern. »Und am besten auch gleich noch eine für die Wohnung oder das Haus von Joop van der Miel.«
»Diese Frage habe ich bereits abgeklärt«, warf Michael Schauß ein. »Der Mann besaß weder eine eigene Wohnung noch ein eigenes Haus. Anscheinend war er immer mit dem Team auf Achse und lebte in Hotelzimmern.«
»Was ist mit seinen Kontaktpersonen bei Europol?«
»Die konnte ich leider noch nicht ausfindig machen, Wolf. Irgendwie hatte ich bei meinen Telefonaten den Eindruck, dass die Europol-Kollegen ihre Informationen nicht an uns weitergeben wollen.«
»Mit wem verstand er sich denn am besten im Team?«, wollte Tannenberg wissen.
»Das wird wohl sein Kollege, dieser Hilfsmechaniker Pieter Breedekamp, gewesen sein«, entgegnete Sabrina. »Mit dem hatte er jedenfalls am meisten zu tun. Aber der ist nach eigenen Angaben auch nicht näher an diesen Joop herangekommen. Der muss wirklich ein seltsamer Vogel gewesen sein.«
12. Etappe
Seit einer halben Ewigkeit war Georg Hartmann mit ein und derselben Frau verheiratet. Irgendwann in den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts hatte er in der Hohenecker Burgherrenhalle mit seinen Mannschaftskameraden Fasching gefeiert. Und zwar lange und ausgiebig.
Ein paar Stunden später wachte er neben einer ehemaligen Mitschülerin auf. Er wusste, dass sie schon seit Langem ein Auge auf ihn geworfen hatte. Doch er hatte sie noch nie leiden können und hatte sie deshalb in nüchternem Zustand auch noch nie eines Blickes gewürdigt. Zwar wusste er nicht mehr, wie er in ihr Bett gekommen war, aber dass er darin erfolgreich zugange gewesen sein musste, stellte sich schon sehr bald heraus.
Obwohl er in seiner Fußballmannschaft nur rechter Verteidiger spielen durfte, hatte er im Status der absoluten Unzurechnungsfähigkeit mit einem Sonntagsschuss einen regelrechten Volltreffer gelandet. Exakt neun Monate nach dieser folgenschweren nächtlichen Eskapade brachte Roswitha ein gesundes Zwillingspärchen zur Welt.
Die beiden Mädchen glichen sich äußerlich aufs Haar. Ein Umstand, der natürlich auf die identische Genausstattung der eineiigen Zwillinge zurückzuführen war. Hatte sich das Erbgut hinsichtlich der äußeren Merkmale zuerst verdoppelt und anschließend wieder geteilt, um eben zwei nahezu identische Wesen zu erschaffen, so schien dies bezüglich der Intelligenz nicht funktioniert zu haben.
Der Natur musste bei diesen komplizierten Zellteilungsprozessen ein fataler Fehler unterlaufen sein, denn beide Mädchen hatten nur etwa die Hälfte der ansonsten üblichen Intelligenzausstattung mit auf ihren Lebensweg bekommen. Nachdem einmal ein Arzt dem unfreiwilligen Vater im Vertrauen eröffnet hatte, dass für die Debilität seiner Töchter auch exzessiver Alkoholkonsum als Ursache in Betracht kommen könnte, wurde er fortan noch heftiger von Schuldgefühlen gemartert.
Als strenggläubiger Katholik akzeptierte Georg Hartmann sein schweres Los. Er wertete es als göttliche Bestrafung dafür, dass er gesündigt und dem fleischlichen Verlangen nachgegeben hatte. Als Buße erlegte er sich einen rechtschaffenen, fleißigen Lebenswandel auf. Am Morgen eines jeden Werktages verließ er immer um dieselbe Zeit das Haus und fuhr mit dem Stadtbus zur Arbeit ins Guss- und Armaturenwerk. Am
Weitere Kostenlose Bücher