Leidenstour: Tannenbergs neunter Fall
Wohnung?«
Der Ermittler zückte seinen Dienstausweis und stellte sich und seine Kollegin vor. »Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?«
»Ich heiße Gisela Weber und wohne drei Türen weiter«, erwiderte die Frau und fasste sich ans Kinn. »Ich mache mir große Sorgen um Herrn Leppla.«
»Wieso denn das?«
»Weil er sich noch nicht bei mir gemeldet hat.« Sie hatte offensichtlich gerade einen Zusammenhang zwischen ihrer geplatzten Verabredung und den in Lepplas Wohnung befindlichen Kriminalbeamten hergestellt, denn ihre Augen wurden plötzlich feucht. Mit tränenerstickter Stimme fragte sie. »Was ist mit ihm? Ist ihm etwas Schlimmes passiert?«
»Weshalb wollte er sich denn bei Ihnen melden?«, antwortete Wolfram Tannenberg mit einer Gegenfrage.
»Er wollte mich heute Morgen zu meiner Schwester nach Wolfstein fahren. Ich hab schon ein paar Mal bei ihm geklingelt und auch bei ihm angerufen. Aber alles ohne Erfolg. Ich hab ja die ganze Zeit über gedacht, dass er gestern Nacht bestimmt zu lange seinen Glückstag gefeiert hat und …«
»Welchen Glückstag denn?«, bohrte Sabrina nach.
»Ach«, seufzte die ältere Dame, »er war ja so gut gelaunt, als ich ihm gestern Abend im Aufzug begegnet bin.« Ein seltsamer Glanz zeigte sich in ihren Augen. »Er hat mich sogar umarmt und mir regelrecht aufgedrängt, dass er mich heute Morgen fährt. Ich wollte eigentlich den Zug nehmen. Aber er hat es sich einfach nicht ausreden lassen.«
Gisela Webers Miene nahm wieder einen bedeutend ernsteren Ausdruck an. »Normalerweise war er ja ganz anders. So in sich gekehrt, bedrückt und richtig abweisend. Und dann plötzlich diese radikale Verwandlung.«
»Hat er Ihnen den Grund dafür genannt, weshalb er plötzlich so gut drauf war?«, wollte Sabrina Schauß wissen.
»Nein, er hat nur gesagt, dass er gestern das große Los gezogen habe und schon sehr bald völlig sorgenfrei leben könnte. Außerdem habe er jetzt unheimlich viel Zeit, weil er nicht mehr arbeiten gehen müsse. Ich hab natürlich gleich an eine Erbschaft gedacht und ihn das auch gefragt. Aber er hat nur gegrinst.« Sie streichelte sich über die Wangen. »Und dann hat er mich sogar dahin geküsst. So ein verrückter Kerl.«
»Hat er Ihnen irgendetwas übergeben?«, fragte Tannenberg.
Gisela Weber zog die Stirn kraus. »Übergeben?«
»Ja, zum Beispiel etwas, das Sie für ihn aufbewahren sollten. Oder hat er Sie vielleicht gebeten, etwas für ihn zur Post zu bringen? Ein Päckchen vielleicht oder ein Kuvert oder einen Brief?«
Die hagere Frau kniff die schmalen, farblosen Lippen zu einem dünnen Strich zusammen und wiegte den Kopf hin und her. »Nein, nein. Ich hab ihn auch seitdem nicht mehr gesehen. Was ist denn nun mit ihm passiert?«
»Das können wir Ihnen leider nicht sagen«, versetzte der Chef-Ermittler, »aber ich gehe davon aus, dass Sie es schon sehr bald von seinen Journalisten-Kollegen erfahren werden. Vielleicht bringen sie es ja bereits im Radio.«
»Im Radio?«, wiederholte sie, drehte den Kriminalbeamten den Rücken zu und schlurfte durch den tristen Flur zurück zu ihrer Wohnung.
Tannenberg hatte gerade an seinem Schreibtisch Platz genommen, als ihm Petra Flockerzie ein Gespräch durchstellte. Es meldete sich die Ehefrau des ermordeten Teamarztes. Mit gepresster Stimme erzählte sie dem staunenden Kommissariatsleiter, dass sie eben in ihre Mailbox geschaut und dort eine E-Mail ihres verstorbenen Mannes vorgefunden habe.
Laut Zeitprotokoll habe er diese gestern um 17.33 Uhr, also eine knappe halbe Stunde vor Beginn der Pressekonferenz, abgeschickt. Auf Tannenbergs Bitte hin versprach sie, die Mail umgehend ins K 1 zu schicken. Kaum eine Minute später hielt er die ausgedruckte E-Mail in seinen Händen.
»Liebe Eva,
einer unserer Mechaniker ist letzte Nacht ermordet worden. Ich hatte ihn schon länger in Verdacht, nicht ganz koscher zu sein. Joop hat irgendetwas im Schilde geführt. Da bin ich mir ziemlich sicher. Er ist oft um mich herumgeschlichen, und ich habe ihn mehrmals dabei ertappt, wie er Gespräche belauschte. Seit seinem Tod habe ich große Angst, dass ich das nächste Opfer sein werde.
Nach einer schlaflosen Nacht habe ich mich deshalb dazu entschlossen, mich bereits heute den Medien als Topinformant zur Verfügung zu stellen. Mit einem Fernsehsender habe ich einen sehr guten Preis für die Exklusivrechte an meiner Story ausgehandelt.
Außerdem habe ich Kontakt zum Bundeskriminalamt aufgenommen. Wenn ich mich
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