Leidenstour: Tannenbergs neunter Fall
bleichen Gesicht spiegelte sich die innere Unruhe wider, die ihn seit seiner überraschenden Festnahme beherrschte: Die Augenlider zuckten und die beiden schrägen Falten über der Nasenwurzel, die sich bildeten, ähnelten einem großen V.
Das Victory-Zeichen auf deiner Stirn, grinste Tannenberg in sich hinein, passt haargenau zu deiner derzeitigen Situation, mein Junge. Bist wohl doch nicht ganz so cool, wie dein Superanwalt es gerne hätte.
Mit diesem Gedanken hatte er den Nagel auf den Kopf getroffen, denn Professor Grabler beäugte seinen Mandanten immer wieder ein paar Sekunden lang ausgesprochen skeptisch.
»Herr Breedekamp macht ab sofort von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch«, verkündete der Turbofood-Anwalt und legte dem sommerlich gekleideten Mechaniker eine Hand auf den Oberschenkel. »Nicht wahr, mein Guter?«
Der Mechaniker warf ihm einen flackernden Blick zu und nickte eifrig. Danach schaute er wieder hinab zu seinen Händen, die er so fest zu Fäusten ballte, dass die Knöchel unter der Haut durchschimmerten.
»Ich weiß nicht, ob Ihr Anwalt Ihnen damit einen guten Dienst erweist, wenn er Sie zum strikten Stillschweigen auffordert«, sagte der Leiter des K 1 in betont sachlichem Ton. »Ich meinerseits kann Ihnen nur das Gegenteil empfehlen.«
Mit urplötzlich anschwellender Stimme schob Tannenberg nach: »Herr Breedekamp.« Sein Gegenüber zuckte bei dieser scharfen Anrede zusammen. »Ich rate Ihnen jedenfalls dringend: Machen Sie reinen Tisch! Vor Gericht wird Ihnen das Geständnis – beziehungsweise die Geständnisse – strafmildernd angerechnet. Dann sind Sie in höchstens 15 Jahren wieder ein freier Mann.«
Wolfram Tannenberg reckte den Zeigefinger empor und blickte forschend in Breedekamps tief liegende blaue Augen. »Wenn Sie mit uns kooperieren, können Sie zudem von der Kronzeugenregelung profitieren. Das würde unter Umständen sogar großzügige Strafmilderung, Zeugenschutzprogramm und eine neue Identität für Sie bedeuten.«
»Mein Mandant lässt sich von Ihnen nicht einlullen«, erklärte Professor Grabler. »Und zu dem Eingeständnis einer Tat, die er nicht begangen hat, lässt er sich sowieso nicht nötigen. Er ist schließlich nicht verrückt.«
»Ist das wirklich so, Herr Breedekamp?«, setzte der Kommissariatsleiter nach. »Ist es nicht vielmehr so, dass Ihr werter Herr Anwalt unter allen Umständen verhindern möchte, dass Sie auspacken.« Ein abschätziger Blick wanderte zu dem nobel gekleideten Prominentenanwalt. »Weil er genau weiß, welche Sauereien in diesem feinen Turbofood-Team an der Tagesordnung sind?«
»Passen Sie ja auf, was Sie sagen, Sie tolldreister Provinz-Schnüffler«, fauchte Professor Grabler wie eine aggressive Raubkatze. Mit einer herausfordernden Handbewegung wandte er sich an den Oberstaatsanwalt. »Wieso gebietest du diesem unverschämten Kerl nicht endlich Einhalt, Sigbert? Ich denke, du kannst ihn nicht ausstehen.«
Wider Erwarten reagierte Dr. Hollerbach sehr ruhig und souverän. »Auch wenn wir beide nicht unbedingt gemeinsam in Urlaub fahren würden, kann ich Hauptkommissar Tannenberg nur beipflichten. Auch ich habe den Eindruck, es ist mehr als überfällig, dass euch die Strafverfolgungsbehörden einmal intensiv auf die Finger schauen.«
Wie ein Florettfechter stach Grabler auf seinen ehemaligen Studenten ein. »Das wirst du noch zutiefst bereuen, Sigbert, das verspreche ich dir«, stieß er eine unverhohlene Drohung aus. »Mein Einfluss reicht selbst bis hierher in diese tiefste Provinz.«
»Es ist schon ausgesprochen bemerkenswert, wie Sie sich hier gebärden, Herr Professor«, sagte Tannenberg mit Hohn in der Stimme. »Vor allem, wenn man bedenkt, dass unser Tonband die ganze Zeit über mitläuft und Ihre interessante Konversation für die Nachwelt festhält. Warum sind Sie denn eigentlich so dünnhäutig, wenn Ihr Mandant und der Konzern, dem Sie juristischen Beistand leisten, nichts zu verbergen haben? Erklären Sie uns bornierten Waldschraten das doch bitte einmal.«
An seinen schmalen, vogelartigen Augen und den zuckenden Lidern konnte man erkennen, wie sehr es in Professor Grablers Innerem brodelte. Er war aber erfahren genug, um seine Emotionen auch in solchen Situationen unter Kontrolle halten zu können. Aus seiner langjährigen Erfahrung bei Gerichtsprozessen wusste er nur zu gut, dass ein Gegner, den man zu emotionalen Reaktionen provozieren konnte, den juristischen Wettstreit bereits verloren hatte.
Er
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