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Leidenstour: Tannenbergs neunter Fall

Leidenstour: Tannenbergs neunter Fall

Titel: Leidenstour: Tannenbergs neunter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Franzinger
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Fahrer als eine ernst zu nehmende Wettfahrt gegen eine unerbittlich mitlaufende Uhr.
    Diesmal hatte man auf einen Prolog verzichtet und den Rennfahrern dafür eine Strecke vorgesetzt, für deren Bewältigung mindestens eine Stunde erforderlich war. Die Organisatoren versprachen sich von dieser ungewöhnlich frühen Extrembelastung eine gnadenlose Offenlegung der Leistungsfähigkeit der einzelnen Teams. Dadurch sollte frühzeitig die Spreu vom Weizen getrennt, die Dramatik erhöht und gerade die schweren Bergetappen noch spannender gestaltet werden.
    Die Pfalz war zum ersten Mal bei der Tour de France dabei. Und das gleich als Startort zweier direkt aufeinanderfolgender Etappen. Das Einzelzeitfahren fand auf einem Rundkurs statt, dessen Ausgangspunkt und gleichzeitig Zielort man mitten hinein ins Stadtzentrum gelegt hatte, und zwar auf die vierspurige Fischerstraße. Am darauf folgenden Tag, also dem Sonntag, sollte ebenfalls an dieser Stelle der Startschuss zur zweiten Etappe erfolgen, die über 218 Kilometer von Kaiserslautern nach Nancy führte.
    Die Region versprach sich durch diese starke Medienpräsenz einen enormen Tourismusschub. Diese Hoffnung hatte sich, zumindest was diese ersten beiden Tourtage betraf, bereits erfüllt, denn alle Hotels, Pensionen und Privatunterkünfte waren bereits seit Wochen für diesen Zeitraum ausgebucht, ebenso die Jugendherbergen und Campingplätze im weiten Umkreis.
    Schon seit Tagen schien Kaiserslautern regelrecht aus den Nähten zu platzen. Die von überall her angereisten Radsportenthusiasten verstopften die Innenstadt und blockierten mit ihren Blechkarawanen die Zufahrtsstraßen. Seit den frühen Morgenstunden säumten die Radsportbegeisterten die Rennstrecke, auf der die Profi-Radsportler zuerst in westlicher Richtung die Stadt durchqueren würden, um dann Hohenecken, Trippstadt und Hochspeyer zu passieren und anschließend von Osten kommend wieder ins Stadtgebiet zurückzukehren. Der Rundkurs wies ein ausgesprochen welliges Streckenprofil auf, das den Rennfahrern bereits bei dieser ersten Etappe alles abverlangen sollte.
    Exakt zehn Minuten vor der festgelegten Startzeit hatte sich der gemeldete Teilnehmer am Start einzufinden. Florian Scheuermann war der erste Rennfahrer seines Teams auf der Startrampe. Aus gutem Grund, denn zum einen war er nicht gerade ein begnadeter Zeitfahrer und zum anderen positionierte jeder sportliche Leiter aus psychologischen Gründen die besten Zeitfahrer seines Teams an das Ende des Starterfeldes. Eine ähnliche Taktik, wie sie in der Leichtathletik bei den Sprintstaffeln angewendet wurde, wo die stärksten Läufer stets am Schluss liefen.
    Als Florian die schmale Treppe hinaufstieg, verpasste ihm Bruce Legslow noch einen aufmunternden Klaps und wünschte ihm ›good luck‹. Nun stand er auf der Rampe und wartete hoch konzentriert auf das Startzeichen. Das Reglement legte fest, dass der Start stehend zu erfolgen hatte, wobei der Fahrer von einem neutralen Starthelfer zwar am Sattel gehalten, aber nicht von diesem angeschoben werden durfte.
    Jede Faser seines athletischen Körpers war bis zum Zerreißen angespannt, besonders die prall gefüllten Muskelberge seiner Beine schienen gleich zu bersten. Sein Puls raste, als kämpfte er sich gerade einen Berganstieg hoch. Den Tunnelblick stur auf die durchgezogene Mittellinie der Hauptverkehrsstraße gerichtet, atmete er zwar schnell, aber trotzdem kontrolliert, denn eine Hyperventilation, die ihn ohnmächtig auf seinem Rennrad zusammensacken lassen würde, konnte er sich nun wirklich nicht erlauben.
    In Gedanken spulte er noch einmal den anspruchsvollen Streckenverlauf ab. Plötzlich hörte er das monotone Herunterzählen des Starters. Wispernd sprach er jede Zahl mit. Dann ertönte das Startsignal, er rollte mit hohem Krafteinsatz die Rampe hinunter – und schon war er bei seiner ersten Tour de France dabei.
    Der sportliche Leiter des Turbofood-Teams hatte ihm eingeschärft, sich nicht aus Übermotivation heraus bereits bei der ersten Etappe total zu verausgaben. Als Tour-Neuling besitze er selbstverständlich einen Sonderstatus im Team. Seine individuelle Zielvorgabe bestünde vor allem darin, bei dieser strapaziösen Rundfahrt wichtige Erfahrungen zu sammeln und sich mannschaftsdienlich zu verhalten.
    Obwohl er sich diese Order wirklich zu Herzen genommen hatte, verfolgte er einen eigenen Plan. Danach wollte er versuchen, den exakt eine Minute vor ihm gestarteten Fahrer eines italienischen Teams

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