Leise Kommt Der Tod
für die Ausstellung abzuschließen, indem sie den Schaukästen und Wandbildern den letzten Schliff gaben. Die Farbe war trocken, und Sweeney war sehr zufrieden mit dem cremefarbenen Naturton, für den sie sich entschieden hatte. Da sie noch einige Punkte mit Tad durchsprechen musste, lief sie zum Anbau hinüber, wo sie Fred und Tad im Hauptbüro vor der Tür zu Willems Arbeitszimmer vorfand, offensichtlich damit beschäftigt, heimlich zu lauschen. Hinter der Tür erhob Jeanne gerade ihre wutverzerrte Stimme.
»Armer Willem«, flüsterte Sweeney. Tad zog die Augenbrauen hoch, und Fred versuchte sich ein Lachen zu verkneifen.
Als Willem und Jeanne aus dem Büro kamen, wandten sich
alle drei höflich ab. Willem blickte verärgert drein, in Jeannes Blick lag etwas Triumphierendes.
»Veranstaltet ihr hier eine Party oder was?«, fuhr Willem die drei an.
»Hmmmmm?« Tad wusste, wie er Willem zu nehmen hatte, wann es ratsam war, auf seine Bemerkungen einzugehen, und wann er sie besser ignorierte. »Sweeney, brauchst du was von mir?«
»Ja, ein paar Sachen. Die Probeabzüge der Textfelder für die Post-mortem-Fotografien scheinen leicht verschwommen zu sein. Oder kommt mir das nur so vor?«
Tad wirkte verstimmt. »Nein, du hast schon Recht. Es gab ein kleines Problem mit dem Drucker. Ich werde mich darum kümmern. Was fehlt sonst noch?«
»Weißt du schon etwas Neues wegen des Kolliers? Ich kann es kaum erwarten, das gute Stück endlich in natura zu sehen. Außerdem brauchen wir noch ein Informationsschild dafür. Vermutlich möchte Willem das gerne selbst verfassen.«
Tads Miene zeugte von Unbehagen. »Das wird wohl noch etwas dauern. Als ich heute Morgen nachgesehen habe, war das Kollier nämlich nicht an seinem angestammten Platz im Lager. Vermutlich gab es einen Zahlendreher bei der Kennziffer oder etwas in der Art. So was passiert, ich halte dich auf dem Laufenden.«
»Aber es befindet sich im Museum, nicht wahr?« Eine Welle von Panik überrollte Sweeney. Sie hatte sich so auf das Kollier gefreut, dass sie sich ihre Ausstellung schon gar nicht mehr ohne das Stück vorstellen konnte.
»Na, Tad, ist dir mal wieder ein Kunstwerk abhandengekommen?«, fragte Jeanne laut.
Tad bemerkte die beiden Praktikanten, die am anderen Ende des Raumes Kopien machten, und warf ihr einen wütenden Blick zu. »Nein, Jeanne, es ist nur falsch gekennzeichnet worden. Wir haben das Verzeichnis überarbeitet, daher...«
Sweeney sah Fred an, dieser hob die Augenbrauen. Jeanne hatte das Talent, Leute in den Wahnsinn zu treiben. Mit ihrem Verhalten rief sie Mordgedanken bei ihrem Gegenüber wach, und es wäre wirklich kein Wunder, wenn sie ihre Ausstellung nicht mehr erleben würde. Jeanne lachte nur und steuerte mit energischen Schritten auf die Personalküche zu. Welche Zustimmung auch immer sie Willem abgerungen hatte, seine Laune hatte es nicht gerade verbessert. Er machte ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter.
Sweeney ging zur Galerie zurück und vertiefte sich wieder in die Arbeit. Sie kam gut voran. Als sie um eins beschloss, Mittagspause zu machen, hatte sie ein gutes Gefühl, was ihren Zeitplan anbetraf. Die verbleibenden drei Wochen würden ausreichen, um alles fertig zu bekommen. Für diese Erkenntnis belohnte sie sich mit dem Moo-Shu-Mittagsmenü beim Chinesen um die Ecke. Nach dem Essen kaufte sie ein paar Flaschen Wein für den Abend, die sie mit ins Museum nahm, damit sie im Auto nicht warm wurden.
Wenigstens war es kühl im Museum, dachte sie, während sie die Stufen in den zweiten Stock hochlief. Das Gebäude wirkte gespenstisch still und leer, und ehe sie ihre Galerie betrat, blieb sie für einen Moment auf dem Balkon stehen und sah nach unten in den Innenhof. Die Distanz zum Boden betrug gut und gerne zehn Meter. Als sie auf den gemusterten Marmorboden blickte, wurde sie plötzlich von einem Schwindelgefühl ergriffen. Schnell trat sie einen Schritt zurück. Sie fragte sich, ob schon mal jemand von der Balustrade gefallen war. Das Geländer war nicht besonders hoch, selbst ein Kind konnte leicht darüberklettern. Aber vermutlich befanden sich selten unbeaufsichtigte Kinder im Museum. Sie betrat die Galerie.
»Auf geht’s, Sweeney«, sagte sie laut zu sich selbst. »An die Arbeit.« Ihrer eigenen Aufforderung brav folgend, setzte sie sich an den Tisch und nahm sich vor, zumindest fünf Objektbeschreibungen zu verfassen, ehe sie wieder aufstand.
6
Hätten wir Welt genug und Zeit,
Wärst, Spröde, du von Schuld
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