Leise weht der Wind der Vergangenheit
sorgsam darauf bedacht, keinen Staub zu verwischen, um nicht unnötige Spuren seiner Anwesenheit zu hinterlassen.
Die Truhe war voll mit Kram bis an den Rand. Alle möglichen Dinge lagen da, von alten Kleidungsstücken über altmodisches Spielzeug, das Josh nicht kannte bis zu Schmuck und verstaubten Büchern. Doch was er plötzlich entdeckte war vielleicht die Antwort auf seine Fragen.
Sorgfältig eingewickelt in einen zartrosafarbenen Schal fand er eine alte Holzflöte, der man ansah, dass sie schon viel benützt worden war. Die Oberfläche war abgegriffen und an manchen Stellen schon hell, und das Mundstück war so abgewetzt, dass es sich rau anfühlte wie unbehandeltes Holz.
„Die Flöte", stellte Josh fest und in seinem Innern tobte ein Sturm. „Er hat mich angelogen. Er hat mir in die Augen gesehen und mich dabei einfach angelogen." Es fiel ihm schwer, das zu akzeptieren. Natürlich war sein Dad nicht gerade der Vater, den ein Junge sich wünschte. Er hatte viele Fehler, doch Josh hatte geglaubt, sie alle zu kennen. Dass Lügen dazu gehörte, daran hatte er nicht geglaubt. Jetzt jedoch musste er die Meinung über seinen Dad noch einmal ändern.
Es war Gregs Flöte, das spürte Josh genau. Sie brannte wie Feuer in seiner Hand. Die Umgebung wurde plötzlich un-deutlich, verschwamm vor den Augen des Jungen. Er sah seinen Vater auf einer Klippe sitzen und auf dieser Flöte spielen. Alles war so unwirklich, dass Josh mit einem Schreckenslaut in die Wirklichkeit zurückkehrte. Er ließ die Flöte fallen.
Dann suchte er weiter, fand jedoch nicht viel. Lediglich ein Briefumschlag erweckte noch sein Interesse. Es war nur ein einziges Bild darin, das eine schöne dunkelhaarige Frau zeigte. Ihre großen Augen schienen ihn anzustarren, als wollten sie ihm etwas mitteilen.
„Wer bist du?“, fragte Josh leise.
Die Augen der Frau lächelten ihn an, liebevoll und irgendwie sehnsüchtig. Dann entdeckte er die Widmung: „Für Greg in Erinnerung an Britta", las Josh, und ihm war ganz eigentümlich zumute.
Zärtlich streichelte Josh mit den Fingerspitzen über das Bild. Er wusste selbst nicht, weshalb es ihm so weh ums Herz war. „Britta." Seine Stimme war nur noch ein Hauch. „Du bist Britta? Wo hast du dich versteckt? Und wer bist du überhaupt? Meine Mutter hieß Paula. Oder nicht? Bist du vielleicht meine Mutter?"
Der Gedanke an diese Möglichkeit regte Josh so auf, dass er heftig zu husten anfing. Es dauerte eine ganze Weile, bis er sich wieder einigermaßen erholt hatte. Seine Sehnsucht nach dieser Frau wurde immer größer, und er war auf einmal überzeugt davon, sie würde gleich aus dem Bild steigen um ihn in den Arm zu nehmen.
Doch nichts geschah. Enttäuscht barg Josh das Gesicht in den Händen. Er schloss die Augen. Und da war wieder dieses Bild. Die Klippe, die sich gegen das blasse Mondlicht abhob und die einsame Gestalt, die er vorhin schon gesehen hatte. Doch dieses Mal war es nicht sein Vater, es war eine Frauengestalt mit langen Haaren, in denen der Wind spielte...
Die Frau lachte und winkte ihm zu. Dann sagte sie etwas, doch das Brausen des Meeres riss ihr die Worte vom Mund und trug sie davon. Josh konnte sie nicht verstehen. Doch auf den Lippen spürte er das Salz des Meeres, das der Sturm ihm in kleinen Wassertropfen ins Gesicht warf. Er hörte das Spiel einer Flöte und konnte in der Ferne wieder diesen Mann erkennen, der auf einem Felsen saß und herzergreifend spielte.
- Sein Vater -
Entsetzt riss Joshua die Augen wieder auf. Was waren das für Bilder, die vor seinem geistigen Auge aufgetaucht waren. Er konnte sie noch nie in seinem Leben gesehen haben, dessen war er sich ganz sicher.
Joshuas Fragen waren mehr geworden anstatt weniger, wie er zuvor gehofft hatte. Er war enttäuscht über den Ausgang seines Abenteuers. Doch er fasste einen Entschluss. Anne sollte sagen, was das bedeutete. Dann verstaute er die Flöte wieder sorgfältig in dem Schal und steckte sie in seine Hosentasche. Das Bild schob er mitsamt dem Umschlag unter sein Hemd. Dann verschloss er die Truhe sorgfältig.
Jetzt spürte er die Enge in der Brust, die ihn kaum mehr atmen ließ. Eilig verließ er den Dachboden und warf sich auf sein Bett. Eine Weile noch wollte er sich ausruhen und dabei nachdenken. Dann wollte er zu Anne gehen und ihr seinen Fund zeigen.
Josh schloss die Augen. Er merkte gar nicht, wie ein Traum ihn sanft davon trug
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