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Leises Gift

Leises Gift

Titel: Leises Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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Kanone durch die Tür geschoben hab, hat er wohl eingesehen, dass es besser ist, wenn er nicht noch einmal schießt. Er hat Ihnen die Pistole auf den Schädel geschlagen, und ich hab mit meiner Remington auf ihn gezielt. Da ließ er die Pistole fallen und rannte davon.«
    »Haben Sie sein Gesicht erkannt?«
    »Nein, Ma’am. Er hatte irgendwas auf dem Kopf. Sah aus wie ein T-Shirt oder so. Er sah aus wie einer der Typen aus Das Kettensägen-Massaker.«.
    Alex atmete tief durch und versuchte sich zu beruhigen. Sie steckte in einer Zwickmühle: Entweder sie gab sich als Mitarbeiterin des FBI zu erkennen, oder sie sah zu, dass sie so schnell wie möglich von hier verschwand. Ihre Instinkte sagten ihr, dass Verschwinden die bessere Wahl war, doch falls sich herausstellte, dass ihr Angreifer der Mörder ihrer Schwester war, opferte sie damit leichtfertig eine Möglichkeit, ihn zu schnappen.
    »Haben Sie die Polizei gerufen?«, fragte Alex.
    »Verdammt, ja! Sie sind schon auf dem Weg hierher. Die Wache ist keine zwei Kilometer Luftlinie von hier. Was wollte dieser Mistkerl von Ihnen?«
    Alex rollte sich langsam herum; dann erhob sie sich vorsichtig. »Sir, ich bin Spezialgentin Alex Morse vom FBI.«
    Der Mann im Schlafanzug wich einen Schritt zurück.
    »Mein Dienstausweis ist in meinem Wagen.«
    »Vielleicht sollte ich lieber einen Blick darauf werfen, Ma’am.«
    Während sie ihre Handtasche holen ging, tauchte zwischen den Bäumen flackerndes Blaulicht auf, das von den Wänden der umliegenden Häuser reflektiert wurde. Sekunden später kam ein Streifenwagen mit kreischenden Reifen unten an der Straße zu stehen.
    »Hierher!«, rief der Pyjama-Mann. »Die Auffahrt rauf!«
    Alex hatte ihren Dienstausweis zur Hand, als die Cops den Weg heraufgetrottet kamen. Sie waren erstaunt, eine Agentin des FBI vorzufinden. Die Frau des Hausbesitzers erschien und bot Alex ein Papiertaschentuch an, damit sie sich das Blut aus dem Gesicht wischen konnte, was Alex mit ausreichend theatralischem Nachdruck tat, um die einheimischen Cops zu beeindrucken. Sie stellte die Situation als eine versuchte Vergewaltigung dar und befahl den Beamten, über Funk einen Fahndungsaufruf nach dem weißen Lieferwagen durchzugeben. Sie versicherte ihnen wiederholt, dass keine Chance bestand, Fingerabdrücke auf ihrer Glock zu sichern, da der Angreifer Handschuhe getragen hatte. Als Antwort auf die diesbezügliche Frage der Cops nannte sie als derzeitige Wohnadresse die Anschrift von Dr. Chris Shepard, einem »alten Freund aus Schulzeiten«. Sie wollte unbedingt vermeiden, dass die Cops aus Natchez ihr Zimmer im Days Inn betraten und entdeckten, was selbst ein blutiger Anfänger als Werkzeuge und Unterlagen einer Morduntersuchung zu identifizieren imstande war. Die Cops beharrten mehr oder weniger darauf, dass sie zur Notaufnahme eines Krankenhauses fuhr, um die Platzwunde an ihrem Kopf untersuchen und gegebenenfalls nähen zu lassen, doch Alex protestierte entschieden und erklärte, Chris Shepard könne die Wunde mindestens genauso gut nähen und darüber hinaus kostenlos. Nachdem sie versprochen hatte, sich am nächsten Morgen für eine weitere Befragung zur Verfügung zu stellen, gaben die Cops sich zufrieden. Alex dankte dem Pyjama-Mann erneut dafür, dass er ihr das Leben gerettet hatte. Sie hinterließ den Cops ihre Handynummer, stieg in ihren Wagen und fuhr an einem Auflauf schockierter Nachbarn in Nachthemden und Schlafanzügen vorbei in Richtung Highway 61.
    Sie zitterte am ganzen Leib. Verzögerte Stressreaktion, dachte sie. Sie lenkte den Wagen an den Fahrbahnrand und zückte ihr Handy. Chris Shepard meldete sich nach sechsmaligem Läuten. Alex entschuldigte sich, dass sie ihn schon wieder belästigte, und dann – ehe sie erklären konnte, was geschehen war – hörte sie sich unwillkürlich aufschluchzen. Der Mangel an Schlaf, sagte sie sich. Ich habe seit Wochen nicht mehr richtig geschlafen.
    »Wo sind Sie?«, fragte Chris.
    »Ich stehe am Straßenrand. Ich bin noch in der Stadt. Ich glaube, ich muss genäht werden.«
    »Was ist passiert?«
    »Das erzähle ich Ihnen sofort. Ich muss nur vorher …« Erneut betastete sie ihr Gesicht. Die Seite war nass von frischem Blut.
    »Schaffen Sie’s zu meiner Praxis?«
    »Ja. Was ist mit Ben?«
    »Ich rufe Mrs. Johnson an und sage ihr, dass ich einen Notruf habe. Sie wird kommen und auf Ben aufpassen.«
    Alex wischte sich das Blut mit dem Ärmel aus dem Gesicht. »Er ist hier, Chris. Hier in der

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