Leises Gift
hinter ihr behielt eine gleichmäßige Geschwindigkeit bei. Er passierte die Einfahrt zum Parkplatz. Alex sah, dass es sich tatsächlich um einen Lieferwagen handelte – einen weißen Lieferwagen, verschmutzt mit Schlammspritzern und an verschiedenen Stellen mit Grundierung überlackiert. Das Seitenfenster auf der Fahrerseite war fast schwarz, und sie konnte nicht ins Innere sehen. Der Winkel war außerdem nicht so, dass sie das Nummernschild hätte erkennen können, doch irgendeine Ahnung sagte ihr, dass es durch Schlamm unkenntlich war.
Sie parkte dreißig Meter vom Laden entfernt, mit der Nase des Wagens zur Straße hin. Was mache ich jetzt?, überlegte sie hektisch. Sie konnte die örtliche Polizei anrufen, sich beklagen, dass sie belästigt wurde, und den Lieferwagen anhalten lassen – falls die Polizei ihn fand –, doch sie wollte nichts tun, was sie dazu zwingen konnte, sich als Mitarbeiterin des FBI zu erkennen zu geben. Nicht, wenn sie es irgendwie vermeiden konnte.
Andererseits verspürte sie nicht die geringste Lust, eine hundertsiebzig Kilometer lange Fahrt über einen in weiten Teilen einsamen Highway anzutreten, ohne zu wissen, woran sie war. Sie musste wissen, ob der weiße Lieferwagen eine reale Bedrohung darstellte, oder ob ihre übereifrige Fantasie am Werk war.
Die Vorstellung, dass Graces Mörder hinter dem Steuer saß, erschien ihr beinahe als zu viel erhofft; dennoch hatte sie ihre Glock hervorgeholt und im Schoß liegen. Gelegentlich kamen Fahrzeuge vorbei, und zwei weitere Wagen bogen auf den Parkplatz ein, doch der weiße Lieferwagen blieb verschwunden.
»Das war jetzt lange genug«, sagte sie laut zu sich selbst.
Sie legte den Schalthebel um und lenkte den Wagen zurück auf den Highway, doch anstatt nach links bog sie nach rechts ab, in Richtung Süden, die Richtung, aus der sie gekommen war.
Sie war noch keine fünfzig Meter gefahren, als ein entgegenkommendes Fahrzeug zwischen zwei orange-weißen Verkehrsleitzeichen wendete, kaum dass Alex daran vorbei war. Sie hatte nicht gesehen, um was für ein Modell es sich handelte, doch sie bog rasch erneut rechts ab auf die Liberty Road. Wenn sie sich recht erinnerte, führte diese Straße an einigen der schönsten Herrenhäuser der Stadt vorbei und dann ins Zentrum.
Hinter ihr tauchte ein Scheinwerferpaar auf. Die Lichter saßen hoch genug, um zu einem Lieferwagen zu gehören. Alex nahm die erstbeste Abzweigung nach rechts und gelangte in ein Wohnviertel. Einzeln stehende Häuser aus den 1950er Jahren, wie es aussah. Sie gab fünf Sekunden lang Vollgas, dann verlangsamte sie ihre Fahrt, um zu sehen, ob der Lieferwagen ihr in die Siedlung folgte. Und tatsächlich, er wurde langsamer und bog dann hinter ihr in die Straße ein.
Alex kurbelte das Lenkrad nach links, fuhr eine steile Straße hinauf und bog erneut nach links in einen Weg, der zwischen dichten Baumreihen rechts und links hindurchführte. Die Äste trafen über der Straße zusammen und bildeten ein undurchdringliches Blätterdach. Urplötzlich materialisierte sich aus der Dunkelheit zu ihrer Linken eine Villa, die aussah wie aus einem Film der Technicolor-Periode. Beinahe konnte sie grau gekleidete Offiziere und Ladys in Reifkostümen mit hoch geschnürten Miedern sehen, die über die breite Veranda wandelten. Vor der Fronttreppe hielt sie kurz an; dann beschleunigte sie wieder und suchte nach einer weiteren Kreuzung. Sie spürte, dass dies die gleiche Straße war wie eben, die eine weite Schleife um das prachtvolle Anwesen im Zentrum dieser eigenartigen Siedlung beschrieb. Während sie unschlüssig überlegte, welche Richtung sie nun einschlagen sollte, näherten sich mit einem Mal von hinten wieder die Scheinwerfer.
Alex ahnte, dass sie zur Liberty Road zurückkehren würde, falls sie nach links abbog; deswegen riss sie das Steuer nach rechts und raste durch eine Einhundertachtzig-Grad-Kurve. Am Ende der Kurve bog sie nach links ab, dann nach rechts und verringerte erneut die Geschwindigkeit. Die Scheinwerfer waren weit zurückgefallen, waren aber noch da. Es bestand nicht mehr der geringste Zweifel.
Sie fuhr dreißig Meter weiter; dann bog sie kurz entschlossen in eine lang gezogene Auffahrt neben einem einstöckigen Ranchhaus. Der Weg führte an dem weit von der Straße zurückliegenden Gebäude vorbei. Sie stellte den Motor ab, stieg aus dem Wagen und huschte hastig unter einen Carport, in dem zwei große amerikanische Limousinen parkten. Sie sorgte sich, dass die
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