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Leises Gift

Leises Gift

Titel: Leises Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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einstürzen lassen. Und alles für nichts und wieder nichts! Jeder weiße Lieferwagen, den die Polizei in der vergangenen Nacht überprüft hatte, war völlig legal auf einen unbescholtenen Bürger registriert gewesen.
    »Scheiße, Scheiße, Scheiße!«, fluchte Alex.
    Sie kämpfte gegen die Tränen an, während sie die Vermittlung des Puzzlepalasts in Washington anrief, auch bekannt als das Edgar J. Hoover Building. Natürlich besteht immer die Chance, dachte sie ironisch, dass sie ein Flugzeug geschickt haben, das mich nach Afghanistan bringen soll, damit ich mit Osama bin Laden über seine Aufgabe verhandle … oder etwas ähnlich Wichtiges. Möglich, aber unwahrscheinlich. Sie bat die schwatzhaft-vergnügte Vermittlerin, mit dem Büro von Deputy Director Dodson verbunden zu werden. Nachdem sie ihren Namen genannt hatte, wurde sie augenblicklich durchgestellt.
    »Agentin Morse?«, fragte Dodson.
    »Ja, Sir.«
    »Wo befinden Sie sich im Augenblick?«
    »In Natchez, Mississippi.«
    Eine längere Pause entstand. Dann: »Wie ich sehe, gibt es nördlich von Natchez einen Flughafen, auf dem ein Lear Jet landen kann.«
    »Ich glaube ja, Sir.«
    »Sie werden in dreißig Minuten auf diesem Flughafen sein, bereit zum Abflug.«
    »Ja, Sir. Darf ich fragen warum?«
    »Nein.«
    »Ja, Sir.«
    »Das ist alles.«
    »Sir«, sagte Alex, doch Dodson hatte bereits aufgelegt. Sie sah sich in dem leeren Gästezimmer um. Vergangene Nacht, als Chris Shepard hier gewesen war, hatte es ausgesehen wie ein warmer, menschlicher Ort. Jetzt war es nichts weiter als eine leere Hülle.
    Sie ging ins Badezimmer, um sich frisch zu machen, so gut es in der kurzen Zeit ging.
    Als sie die Tür schloss und sich auf die Toilette setzte, sah sie sich unvermittelt einem dreißig mal vierzig Zentimeter großen Farbporträt von Thora Shepard gegenüber. Thora starrte sie mit dem kühlen Gleichmut eines Fotomodells an – genaugenommen starrte sie geradewegs durch Alex hindurch. Ihre perfekt frisierten blonden Haare rahmten eine gemeißelte Nase, hohe Wangenknochen und meergraue Augen ein, die Chris Shepard so sicher umgarnt hatten wie vor ihm Red Simmons. Obwohl Alex noch nie ein Wort mit Thora gewechselt hatte, hatte sie die andere Frau immer als Gegnerin gesehen, wie zwei Agenten auf gegenüberliegenden Seiten der Berliner Mauer, die über die Entfernung hinweg ein Katz-und-Maus-Spiel spielten. Doch jetzt wurde ihr klar, dass dies nichts weiter als absurde Einbildung war. Das kühle Gesicht vor ihr gehörte einer Frau, die das Spiel längst gewonnen hatte, welches Spiel es auch sein mochte, während Alex zu ihrer beruflichen Exekution nach Washington zurückgeholt wurde.
     
    Neville Byrd bewegte vorsichtig den Joystick in seinem Schoß und verschob den Laser auf dem Dach um fünf Millimeter nach rechts. Dann setzte er seine Spezialbrille auf, um die Linie des Strahls zu überprüfen. Hallo. Diesmal hatte er es geschafft. Der grüne Strahl endete präzise im Zentrum des nordöstlichen Eckfensters im sechzehnten Stock des AmSouth Bank Towers. Von diesem Augenblick an würden dank dem Laser und dem optischen Glas der vierten Generation, das in die gleiche Richtung zielte, jedes gesprochene Wort und jeder Anschlag auf der Computertastatur im Büro von Andrew Rusk auf den Instrumenten in dem Bordcase hinter Neville Byrd aufgezeichnet werden. Neville trank einen Schluck Vault und lehnte sich gegen das Fenster seines Hotelzimmers, das nur eine Straßenbreite vom AmSouth Tower getrennt lag. Er war hier im Auftrag von Noel D. Traver, einem gut situierten Geschäftsmann von vielleicht sechzig Jahren mit einem schrecklichen Muttermal im Gesicht. Dr. Traver hatte Neville einen ganz einfachen Auftrag erteilt und anschließend das Doppelte seiner üblichen Gebühren für die erfolgreiche Durchführung geboten.
    Das hatte Neville zu einem glücklichen Mann gemacht. Hightech-Überwachungsarbeit war nicht gerade ein blühender Geschäftszweig in Mississippi.
    In den vergangenen Jahren hatte Neville hauptsächlich für Scheidungsanwälte und Privatdetektive gearbeitet, hatte sich in E-Mail- Konten gehackt und die Mobiltelefone von Leuten abgehört, die ihre Ehegatten betrogen. Ein tiefer Sturz seit den Tagen, in denen er für Netscape gearbeitet hatte. Gerade einmal zehn Jahre war es her, als er mit an vorderster Front gegen den mächtigen Microsoft-Konzern gekämpft hatte. Heute war der CEO von einst, Jim Barksdale, ein Philanthrop, und Netscape nur noch ein Schatten

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