Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leises Gift

Leises Gift

Titel: Leises Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
Vom Netzwerk:
Gepäck?«
    »Nein.« Sie bückte sich, um ihren weichen Koffer aufzunehmen.
    »Dann gehen wir an Bord.«
    Williams’ Tonfall verriet tiefes Unbehagen, mit ihr sprechen zu müssen – ein untrüglicher Hinweis darauf, dass sie offiziell als Aussätzige galt. Sie warf ihren Koffer durch die Luke, stieg hinterher, bückte sich ins Innere des Jets und setzte sich auf einen in Flugrichtung zeigenden Sitz. Sie erwartete, dass Williams ihr gegenüber Platz nehmen würde, doch er ging an ihr vorbei und setzte sich zwei Reihen hinter ihr. Alex hörte, wie er leise in sein Mobiltelefon redete und bestätigte, dass sie an Bord war und bald unterwegs in Richtung Washington. Die Maschine startete, und sie hielt sich an den Armlehnen fest. Als sie Reiseflughöhe erreicht hatten, nahm sie ihr privates Handy hervor, stöpselte es in einen Stromanschluss neben ihrem Sitz und hörte ihre Mailbox ab. Eine abgehackte Männerstimme erklang.
    »Alex, hier ist Onkel Will …« Alex schaltete die Lautstärke mit dem seitlichen Knopf auf das Minimum herunter. »Der Zustand deiner Mom hat sich seit gestern Abend nicht geändert. Sie lebt, aber sie ist nicht bei Bewusstsein. Es war richtig, dass du erst einmal ausgeschlafen hast. Ich rufe an, weil ich einen Bericht von meinem Mann im Alluvian Hotel erhalten habe. Er konnte nicht feststellen, auf welcher Etage Thora Shepard abgestiegen ist, aber seine Frau hat sich ein paar Mal mit Thora im Nassbereich unterhalten. Thoras Freundin war dabei, und alles schien völlig harmlos. Aber um halb sechs heute Morgen blickte die Frau meines Mitarbeiters zufällig aus dem Fenster. Es zeigt auf den Hof, hinter dem sich der Parkplatz befindet. Sie sah einen Mann, der einen kleinen Koffer zum Parkplatz getragen hat. Er hatte es sehr eilig. Es ging alles sehr schnell, und die Lichtverhältnisse waren ungünstig, aber sie meint, es könnte Dr. Lansing gewesen sein. Sie kann es nicht mit Bestimmtheit sagen. Sie sagt, sie ist zu sechzig Prozent sicher. Ich werde überprüfen, ob Lansing tatsächlich zwischen Natchez und dem Alluvian hin-und herpendelt, um mit Thora Shepard zu vögeln. Ruf mich an, sobald du …«
    Die Verbindung brach ab. Die Mailbox hatte sich abgeschaltet, ehe Will seine Nachricht beendet hatte. Weitere Nachrichten gab es nicht. Alex fragte sich, ob ein paar Stunden im Bett mit Thora vier Stunden Pendeln in jede Richtung wert waren. Die meisten Männer, die sie kannte, hätten ohne jeden Zweifel Ja gesagt. Sie sah keinen Sinn darin, Chris Shepard anzurufen und einen wenig aufschlussreichen Bericht weiterzugeben. Trotzdem sah es so aus, als würde sie bald handfeste Beweise erhalten. Falls Chris Dr. Lansing basierend auf einem Verdacht niedergeschlagen hatte, was würde er dann erst tun, wenn Will die Sorte von fotografischen Beweisen vorlegte, die in diesem Geschäft an der Tagesordnung waren? Alex hatte nicht mit einer gewalttätigen Reaktion seitens Chris gerechnet, doch er war ein Südstaatler, und in derartigen Angelegenheiten war bei allen Südstaatlern kompromissloses Handeln eher die Regel als die Ausnahme.
    Sie lehnte sich im Sitz zurück. Das Heulen der Jets und das Zittern der Maschine rief Dutzende Erinnerungen in ihr wach. Wie oft war sie in aller Eile zu einem wartenden Jet gebracht und in eine fremde Stadt geflogen worden, wo ein Mann mit einer Waffe unschuldige Bürger in seiner Gewalt hielt? Die Tatsache, dass das FBI sich in diesen Situationen auf sie verließ, hatte in Alex ein eigenes Gefühl von Macht hervorgerufen. Sie hatte das Vertrauen des FBI ein ums andere Mal gerechtfertigt, hatte ihren Stamm nicht enttäuscht. Doch jetzt hatte sie dieses Vertrauen gebrochen, zumindest in ihren Augen. Was ein hübscher Euphemismus war für die paramilitärische, superpatriotische Organisation, die auch »das Bureau« genannt wurde. Es hatte einen Teil von Alex zerstört, dieses Vertrauen zu brechen, die täglichen Berichte zu fälschen, Kollegen zu bitten, ihre unerlaubte Abwesenheit zu decken. Wie viel würde es ihr ausmachen, wenn sie ganz aus dem FBI geworfen wurde, unehrenhaft entlassen? Sie fühlte sich leer und verängstigt wie jemand, der aus seinem Dorf verjagt und gezwungen wird, allein im Busch zu überleben. Doch es gab eine höhere Pflicht als die, die man seinem Stamm schuldig war. Die Pflicht gegenüber der eigenen Familie, dem eigenen Blut. Und koste es, was es wolle, sie würde das Vertrauen ihrer Familie niemals enttäuschen. Abgesehen von Jamie Fennell war Alex die

Weitere Kostenlose Bücher