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Leises Gift

Leises Gift

Titel: Leises Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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Unterhaltung mit Shepard und Morse war eine der bemerkenswertesten Erfahrungen, die er jemals gemacht hatte. Nicht nur, dass er Alex Morses Schwester getötet hatte, auch Shepard war so gut wie tot, ein wandelnder Toter! Und doch hatte er da gestanden und ihn, einen Spezialisten, ausgefragt, trotz seiner erbärmlichen Kenntnisse auf diesem Gebiet! Eldon fragte sich, ob Shepard vielleicht schon wusste, dass er sterben würde. Falls nicht, würde er es bald erfahren. Doch anders als die anderen Opfer der Krankheit, die glaubten, vom Schicksal willkürlich zu einem vorzeitigen Tod bestimmt worden zu sein, würde Shepard wissen, dass der Krebs, der seinen Körper auffraß, von einem anderen menschlichen Wesen in ihn hineingepflanzt worden war. Von seiner eigenen Frau – oder zumindest auf ihr Betreiben hin.
    Noch existierte der Krebs gar nicht. Eldon hatte lediglich eine Kaskade von Ereignissen in Gang gesetzt, die auf zellulärer Ebene zu Kanzerogenese führten, wenn sie ungestört abliefen. Und niemand würde diese für Chris Shepard tödliche Kaskade stoppen. Der einzige lebende Mensch, der dazu imstande wäre, war Eldon Tarver. Und für Eldon repräsentierte der Tod von Chris Shepard wertvolle Forschungsdaten. Lebendig war Shepard für ihn nutzlos – und in Verbindung mit Alex Morse möglicherweise sogar gefährlich.
    Eldon musste dringend mit Edward Biddle reden.
    Er konnte nicht riskieren, sein Mobiltelefon zu benutzen – das FBI überwachte seinen Anschluss möglicherweise bereits. Doch derartige Probleme waren leicht zu lösen. Unter einer Gruppe von Bäumen zwanzig Meter weiter stand eine kleine Traube von Krankenschwestern, die gierig ihre Zigaretten rauchten. Er kannte zwei der Schwestern aus der Onkologie. Nach einem raschen Blick zum Eingang des Hospitals überquerte er die ungedeckte Fläche und wandte sich an die kleinere der beiden Schwestern, eine kurzhaarige Brünette, die ihn stets freundlich gegrüßt hatte, wenn sie sich auf dem Korridor begegnet waren.
    »Entschuldigung«, sagte er. »Mein Handy ist leer, und ich muss einen dringenden Anruf machen. Es geht um einen Patienten. Dürfte ich mir vielleicht Ihres ausleihen …?«
    Die Schwester hatte es bereits aus der Tasche gezogen und hielt es ihm hin.
    »Danke sehr«, sagte Eldon mit einem dankbaren Lächeln. »Es dauert auch nur eine Minute.«
    Er tippte die Nummer von Biddles Mobiltelefon ein. Das Gerät läutete und läutete; dann wurde er mit der Mailbox verbunden. Dr. Tarver legte auf. Antwortete Biddle nicht, weil er die Nummer nicht kannte? Gab es ein Problem, weil er in der Luft war? Die Möglichkeit erschien abwegig, da es sich so gut wie sicher um ein Firmenflugzeug handelte. Oder gab es ein tief greifenderes Problem? Eldon wählte die Nummer ein weiteres Mal und wurde erneut zur Mailbox umgeleitet.
    Innerlich fluchend gab er der Schwester das Telefon zurück; dann eilte er über den Rasen zu seinem Wagen. Ihm blieb nichts anderes übrig – er musste das Risiko eingehen, sich am ursprünglich vereinbarten Ort mit Biddle zu treffen. Die Vorstellung schmeckte ihm nicht. Andererseits, wenn er an das Verhalten von Morse und Shepard in seinem Büro dachte, hatte es den Anschein, als tappten sie noch im Dunkeln. Hätten sie etwas Konkretes gegen ihn in der Hand gehabt – oder, wichtiger noch, wenn das FBI offiziell die Zuständigkeit für diesen Fall übernommen hätte –, wären sie zweifellos anders vorgegangen. Er blickte über die Schulter, während er weiterging. Morse und Shepard waren immer noch nicht wieder aus dem Krankenhaus gekommen.
     
    Alex setzte ein gewinnendes Lächeln auf und betrat Dr. Pearsons Vorzimmer. Die Sekretärin mit der toupierten Retro-Frisur war auf ihrem Posten, doch die Tür zum inneren Büro des Doktors stand offen.
    »Hallo noch mal«, sagte Alex. »Ich hätte da noch eine Frage an Dr. Pearson, die ich vorhin zu stellen vergessen hatte.«
    Die Sekretärin gab sich keine Mühe, ihre Verärgerung zu verbergen. »Ich würde es für besser halten, wenn Sie sich mit dem zufriedengeben, was Sie bis jetzt erfahren haben.«
    Alex hob im Vertrauen auf Pearsons Hilfsbereitschaft die Stimme. »Es ist nur eine einzige Frage, und sie hat nichts mit Medizin zu tun.«
    Dr. Pearson steckte den Kopf durch die Tür wie eine neugierige Katze, auch wenn er sich nicht so elegant bewegte. »Oh. Hallo.«
    Wenigstens erinnerte er sich an ihr Gesicht. »Hallo. Ich habe eben mit Dr. Tarver gesprochen; er bat uns in sein Büro und

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