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Leises Gift

Leises Gift

Titel: Leises Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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an. »Amerikanisch?«
    »Du weißt schon. Kapitalistisch oder was auch immer.«
    Lisas primäre Begabung war körperliche Schönheit gepaart mit einer unersättlichen Libido. Rusk hatte immer noch Schwierigkeiten bei der Vorstellung, dass eine Person mit durchschnittlicher Intelligenz wahrhaft intensive Leidenschaft zu empfinden imstande war, doch er hatte es, basierend auf empirischen Fakten, letztendlich akzeptiert. Vielleicht war es die Eitelkeit der Intellektuellen zu glauben, dass dumme Menschen den Sex nicht so sehr genießen konnten wie sie selbst. Aber vielleicht genossen sie ihn ja. Vielleicht genossen sie ihn sogar mehr. Trotzdem, Rusk bezweifelte es. Im Grunde sah er in Lisa eine Art Ausnahmetalent. Ein Idiot savant der sexuellen Techniken. Das war wunderbar im Schlafzimmer und bei unbedeutenderen gesellschaftlichen Anlässen. Doch wenn es um wirkliches Denken ging, ganz zu schweigen darum, Entscheidungen zu treffen, machte es die Dinge schwierig.
    Er kniete vor der Couch nieder und nahm Lisas Hand. Er musste geduldig sein. Er musste sie überzeugen. Weil es keine anderen Möglichkeiten mehr gab. Sie mussten das Land verlassen, und zwar schnell. Thora Shepard lag im Kofferraum seines Cayenne unter einer Malerplane. Wenn einer der FBI-Agenten da draußen auf die Idee kam, das Gesetz ein wenig zu beugen und in die versperrte Garage einzubrechen, war alles vorbei.
    Rusk hatte versucht, seine Erinnerungen an den Nachmittag auszublenden, doch es war ihm nicht gelungen. Nach den ersten euphorischen Augenblicken des Triumphs hatte er voller Entsetzen auf Thoras zerschmetterten Schädel zu seinen Füßen hinuntergeblickt – doch er war nicht erstarrt. Der Extremsport hatte ihm eine Lektion unauslöschlich eingebrannt: Zögern kann tödlich sein. Im Wissen, dass der Pferdeschwanz jeden Augenblick zurückkehren konnte, hatte er Thora in die Malerplane gewickelt und ihren federleichten Leichnam durch die Reihen von Metallständern hindurch zu einem weit entfernten Büro auf der Baustelle des fünfzehnten Stockwerks getragen. Dort war ihm ein Geschenk Gottes in den Schoß gefallen: Ein mit Rädern versehener Zweihundertvierzig-Liter-Großbehälter für Abfälle, mit dem Markennamen MIGHT AS WELL im Deckel eingeprägt. Thora hatte locker hineingepasst, und er war mit dem Behälter direkt in die Garage gefahren. Er hatte Thora hinten in seinen Cayenne gelegt und war – nachdem er den Abfallbehälter zu einer anderen Stelle im fünfzehnten Stock zurückgebracht hatte – in sein Büro zurückgekehrt, als wäre nichts geschehen.
    Doch es war etwas geschehen. Und seit jener mörderischen Minute hatte er gefühlt, wie seine Zeit als freier Mann zerrann wie Blut aus einer durchtrennten Schlagader. Er hatte einen Fluchtplan, doch um ihn umzusetzen, musste er sich zuerst der Observation durch das FBI entziehen. Und er wusste nicht, wie er das bewerkstelligen sollte. Er hegte immer noch die Hoffnung, dass Tarver kommen und ihn retten würde – falls er nicht selbst längst geflohen war. Der Doktor hatte via E-Mail ein Notfalltreffen im Chickamauga Hunting Camp erbeten, doch Rusk hatte sich außerstande gesehen, den Termin zu halten, ohne das FBI auf die Fährte zu bringen.
    Beinahe wäre er in Panik ausgebrochen. Er war in das Büro eines Freundes im gleichen Haus gegangen und hatte Tarver eine E-Mail geschickt, in der er sämtliche Bedrohungen zusammengefasst hatte, mit denen sie zu tun hatten – in der Hoffnung, dass Tarver sich irgendwie durch das Netz würde mogeln können, das sich immer mehr zusammenzog. Doch wenn Tarver sich nicht bald meldete, blieb Rusk nichts anderes übrig, als drastische Maßnahmen zu ergreifen. Beispielsweise seinen Vater anzurufen. Er fürchtete den bloßen Gedanken, doch an diesem Punkt – ohne die Hilfe von Tarver – brauchte es in der Tat den legendären Einfluss und die Verbindungen von A. J. Rusk, um ihn zu retten.
    »Lisa, Honey«, sagte er leise. »Wir reden nur über ein paar Monate in Kuba. Ich habe eine wunderbare Yacht für uns ausgesucht, auf der wir gleich in der Marina wohnen. Leute wie Sinatra haben Unsummen auf den Tisch gelegt, um dort mit Ava Gardner und Marilyn Monroe abzuhängen.«
    »Sicher. Aber das war im Mittelalter.« Lisa war neunundzwanzig Jahre alt.
    »Castro ist Geschichte, Baby. Er kann jeden Tag sterben. Vielleicht ist er schon tot.«
    Sie blickte immer noch skeptisch drein. »Hat nicht Kennedy mehrmals versucht, ihn ermorden zu lassen?«
    Rusk hätte Oliver

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