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Leises Gift

Leises Gift

Titel: Leises Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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so deutlich, wie ich dich vor mir sehe.«
    Er schloss die Augen.
    Nach einem Moment des Zögerns stieg Alex ins Krankenhausbett und legte sich neben ihn. Falls Chris es bemerkte, ließ er sich nichts anmerken. Sie hatte gedacht, dass beide sich besser fühlen würden, wenn sie beieinanderlagen, doch als sie seine immer noch brennend heiße Stirn streichelte, spürte sie auf einmal die Gewissheit, dass er die Nacht nicht überleben würde.
     
    Eldon Tarver lenkte seinen Dodge Pick-up, den er eigens für seine endgültige Flucht reserviert hatte, von der I-55 hinunter und auf den Union 76 Truck Stop. Zehn Sekunden, nachdem er den Wagen geparkt hatte, öffnete sich die Beifahrertür, und Judah ließ sich schwer in den Sitz fallen. Er hatte einen kleinen Rucksack auf dem Schoß. Sobald die Tür geschlossen war, öffnete er den Rucksack und nahm ein kleines Kapuzineräffchen hervor. Das Tier hatte ein Gesichtchen, das aussah wie das eines Menschenbabys. Es blickte aus ängstlichen Augen zu Eldon auf; dann vergrub es das Gesicht an Judahs mächtiger Brust.
    »Sei bitte nicht böse«, sagte Judah leise.
    Eldon war aufgebracht, weil sein Bruder nicht gehorcht und den Affen aus dem Labor geschmuggelt hatte – andererseits war wohl nichts Schlimmes passiert. Das Kapuzineräffchen war noch nicht für Tests benutzt worden, und es hatte auch nicht zusammen mit kranken Tieren im Käfig gesessen.
    »Hat jemand den Affen gesehen?«, fragte Eldon, während er den Wagen ein paar Meter vorrollen ließ.
    »Nein!«, antwortete Judah. »Sie hat nicht einen Pieps gemacht.«
    »Hast du im Restaurant gewartet?«
    »Nein. Ich hab die meiste Zeit im Duschbereich verbracht, neben dem Spielzimmer. Außerdem hast du nicht so lange gebraucht, wie du gesagt hast.«
    Eldon lächelte. »Manchmal fallen die Dinge von allein an ihren Platz.«
    »Wie bei diesem hier«, sagte Judah und streichelte den Rücken des kleinen Kapuziners.
    Eldon lachte und fuhr los. Er unterquerte die I-55, dann bog er nach links ab und beschleunigte die Auffahrt zur I-55 North hinauf. Nicht mehr lange, und sie würden die Natchez-Trace-Ausfahrt erreichen. Der Trace zog sich mehrere Kilometer am Ross Barnett Reservoir entlang, in einem Bereich des großen Stausees, wo eine Reihe von wunderschönen Häusern stand.
    »Wirf einen Blick auf den Rücksitz«, sagte Eldon zu seinem Adoptivbruder. »Was siehst du?«
    Judah wuchtete seinen gewaltigen Leib herum, bis er den Rücksitz des Pick-ups sehen konnte. Eldon schaltete die Innenbeleuchtung ein.
    »Sieht aus wie eine Schachtel Steine«, sagte Judah.
    Eldon lachte schallend. »Genau das ist es auch, Bruder. Eine Schachtel Steine!«
    Judah blickte verwirrt, doch er schien zufrieden, den Affen zu streicheln und die Scheinwerfer auf der Interstate zu beobachten. Als sie schließlich die Abfahrt erreichten, die auf den Trace führte, hatte Eldon sich wieder beruhigt. Sein Ge sicht war nun wie aus Stein gemeißelt.

50
    Kilmer saß in seinem Büro, als sein Telefon läutete. Er hatte sich selbst aus dem Krankenhaus entlassen und war früh am Morgen zur Arbeit gefahren, um sich bei den Fällen, die er in den letzten Tagen und Wochen vernachlässigt hatte, auf den neuesten Stand zu bringen, damit er Alex helfen konnte. Die starken Schmerzen in seinem verwundeten Rücken und die aufgestaute Arbeit hatten ihn veranlasst, die Flasche Jack Daniels zu öffnen, die er in seiner untersten Schublade aufbewahrte.
    »Argus Operations«, meldete er sich stöhnend, während er einen Stapel Akten in eine Ecke auf seinem Schreibtisch schob.
    »Ich bin es, Danny.«
    Danny Mills war ein Ex-Cop, den Kilmer an diesem Tag mit der Observation von Andrew Rusks Büro beauftragt hatte. »Was gibt’s, Danny?«
    »Rusk ist nicht zur Arbeit erschienen. Normalerweise ist er um diese Zeit mindestens seit einer halben Stunde im Büro.«
    »Okay. Bleiben Sie dran. Ich melde mich wieder bei Ihnen.«
    Will legte auf und dachte über die Situation nach. Er konnte einen Mann nach Madison County schicken, wo Rusk wohnte – oder selbst hinfahren. Er hasste diese Vorstellung, weil der Verkehr um diese Zeit am Morgen seit Eröffnung der neuen Nissan Fabrik die Hölle war. Hinzu kam, dass das FBI Rusk inzwischen observierte – wenigstens hatte Alex das gesagt. Die Aktivitäten mochten derzeit noch inoffiziell sein, doch der Mann dahinter war John Kaiser, ein Spezialagent, von dem Will schon häufiger gehört hatte und den er respektierte. Alex hatte Will eine Handynummer

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