Leises Gift
lässt mich nicht. Man hat mich zur Zuschauerin degradiert.«
»Na und? Du hast doch vorher auch nie auf Erlaubnis gewartet. Und es gibt nur eine Möglichkeit, Jamie zu retten – oder mich. Du musst Tarver festnageln. Nur er kann deinen Schwager jetzt noch belasten. Nur er kann den Ärzten verraten, was er mir injiziert hat. Ohne diese Informationen spielt es keine Rolle, ob ich Ben bei mir habe oder nicht. Ohne diese Informationen bin ich sehr bald tot.«
Alex war wie betäubt angesichts des Zorns in seiner Stimme und in seinen Augen. Sie dachte noch über eine beruhigende Antwort nach, als ihr Mobiltelefon in der Tasche vibrierte. Es war John Kaiser. Sie nahm das Gespräch an und hielt das Gerät an ihr Ohr.
»Erzählen Sie mir etwas Erfreuliches, John.«
»Lösen Sie dieses Rätsel für mich, und Sie erfahren die besten Nachrichten, die Sie in den letzten Monaten gehört haben.«
»Wovon reden Sie?«
»Ich sitze hier bei Ihrem angeblichen Freund Neville Byrd. Er hat die Aussage über Sie widerrufen und zugegeben, dass er von Eldon Tarver beauftragt wurde.«
Alex schloss erleichtert die Augen. »Wie haben Sie das geschafft?«
Während Kaiser antwortete, schaltete Alex den Lautsprecher ihres Handys ein, damit Chris das Gespräch mithören konnte.
»Als Byrd und sein Anwalt die Worte Patriot Act hörten, wurden sie schlagartig sehr gesprächig«, sagte Kaiser. »Aber Tarver hat Byrd nicht nur angeheuert, um Rusk im Auge zu behalten. Rusk hatte einen digitalen Mechanismus eingerichtet, der Tarver vernichten würde, sollte der auf den Gedanken kommen, Rusk zu eliminieren. Eine Art Lebensversicherung. Byrd sollte herausfinden, was das für ein Mechanismus war.«
»Und ist es ihm gelungen?«, fragte Alex.
»Ja. Rusk hatte einen Account bei einem niederländischen Internet-Dienstleister namens EX NIHILO. Einmal am Tag musste er sich einloggen und eine Serie von Passwörtern eingeben, um zu verifizieren, dass er wohlbehalten und am Leben war. Blieb seine Meldung aus, würde ein Katalog eines jeden gemeinschaftlich mit Tarver begangenen Verbrechens an das FBI und an die Mississippi State Police übersandt werden.«
»Gütiger Himmel! Sagen Sie mir, dass Sie diesen Katalog haben, John.«
»Er liegt vor mir. Aber ich kann ihn nicht öffnen.«
»Warum nicht?«
»Weil ich das finale Passwort nicht besitze. Rusk hat die Datei nie geöffnet, während Byrd ihn observiert hat. Neville hat genug Passwörter gestohlen, damit Tarver sich einloggen und so tun konnte, als wäre er Rusk, aber nicht genug, um die Datei zu öffnen, zu bearbeiten oder gar zu löschen. Byrd versucht seit gestern Abend, die Datei für uns zu hacken – bis jetzt ohne Erfolg.«
Chris starrte mit tiefer Konzentration auf Alex’ Mobiltelefon.
»Haben Sie eine Idee, was für ein Passwort das sein könnte?«, fragte Alex.
»Ich nehme an«, sagte Kaiser, »dass Rusks letzter bewusster Gedanke, nachdem Tarver ihm den Golfschläger ein paar Mal gegen den Kopf geschlagen hatte, der Gedanke an Rache war. Rache an dem Bastard, der ihm das angetan hatte. Er konnte das Telefon nicht benutzen, doch er konnte den Fuß noch gut genug bewegen, um im Blut am Boden zu schreiben.«
»A ’s No. 23!«, rief Alex.
»Ganz genau. Aber Byrd und ich haben uns durch sämtliche Baseball-Mannschaften der Oakland A’s der letzten hundertsechs Jahre gegoogelt. Wir haben jeden einzelnen Spieler ausprobiert, der je die Nummer dreiundzwanzig getragen hat, aber keine Kombination aus Namen oder Geburtstagen oder Schlagschnitten oder irgendetwas sonst funktioniert als Passwort.«
Alex dachte angestrengt nach. »Sie gehen davon aus, dass ›A’s‹ sich auf das Baseball-Team bezieht. Lassen Sie diese Annahme auf sich beruhen und fangen Sie von vorne an. A’s No. 23. Was könnte es sonst noch bedeuten?«
»Die Suchmaschinen spucken nur Baseball-verwandte Themen aus. Ich habe eben in Washington bei der NSA angerufen. Sie haben es in die Warteschlange für einen ihrer Supercomputer gestellt.«
»Es kann doch nicht so schwierig sein«, sagte Alex. »Es muss etwas sein, von dem Rusk dachte, dass wir dahinterkommen können. Wie lauteten seine anderen Passwörter?«
»Eins war die Zahl Pi bis zur neunten Stelle hinter dem Komma.«
»Pi …«, echote Alex.
»Zwei weitere waren Namen aus der klassischen Literatur. Eins war die Lichtgeschwindigkeit.«
Mit merkwürdig entrückter Stimme fragte Chris: »Wie hat er ›Kilometer pro Sekundenquadrat‹ geschrieben?«
»Wer
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