Leises Gift
lachte er. »Man kriegt im Leben nicht viele solcher Gelegenheiten zu einer Revanche.«
»Haben Sie Dodson von den GPS-Koordinaten erzählt?«, fragte Alex.
»Das musste ich. Von jetzt an werden keine Informationen mehr zurückgehalten. Die ganze Sache landet auf dem Schreibtisch von Direktor Roberts. Wir haben lediglich eine Schlacht gewonnen, nicht den Krieg.«
»Es fühlt sich trotzdem großartig an.«
Kaiser ließ den Motor an, setzte zurück und hielt, um den Wagen des Gerichtsmediziners passieren zu lassen, der an der langen Reihe von Behördenfahrzeugen vorbei zur Auffahrt gerollt kam.
»Wohin fahren wir jetzt?«, fragte Alex.
»Sie gehen wieder ins Krankenhaus. Versuchen Sie erst gar nicht zu widersprechen. Ich setze eine landesweite Fahndung nach dem Powerboat von Rusk in Gang, sobald ich eine Beschreibung davon bekomme. Anschließend werde ich diesem Neville Byrd einen Besuch abstatten. Das ist der Kerl, der behauptet, Sie hätten ihn engagiert, um Rusk zu bespitzeln.« Kaiser sah sie im Rückspiegel an. »Das waren Sie nicht, oder?«
»Ich habe den Namen noch nie gehört. Ich schwöre, ich habe ihn nicht engagiert.«
Kaiser nickte. »Das dachte ich mir. Ich hoffe, dass Tarver ihn engagiert hat. Um sicherzustellen, dass sein Partner ihn nicht aufs Kreuz legt, wissen Sie?«
»Absolut.«
Als der Wagen des Gerichtsmediziners vorbeirollte, kam Alex eine neue Idee. »Haben Sie Dodson von der Botschaft auf dem Fußboden erzählt? ›A’s No. 23‹?«
Kaiser schwieg.
Alex unterdrückte ihre Freude. »Ich dachte, von jetzt an gäbe es kein Zurückhalten von Informationen mehr?«
»Der Bastard kann mich mal.«
»Amen.«
Ein junger Agent kam herbei. Kaiser ließ die Scheibe herunter. »Was gibt’s?«
»Ich soll Sie holen, Sir. In der Garage wurde etwas gefunden.«
»Und was?«
»Das weiß ich nicht, Sir. Aber sie sind ziemlich ausgeflippt.«
Kaiser parkte den Suburban am Straßenrand und stieg aus. »Sie bleiben hier, Alex.«
Sie hämmerte wütend auf das Polster, als Kaiser zurück zum Haus eilte. Dann zählte sie bis fünf, stieg aus und rannte ihm hinterher.
51
Alex stand vor Chris’ Zimmer und wischte sich die Augen mit einem Papiertaschentuch, das eine Schwester ihr gegeben hatte. Seit fünf Minuten versuchte sie nun schon, den Mut zusammenzunehmen, ins Zimmer zu gehen und Chris die Nachricht vom Tod seiner Frau zu überbringen. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund brachte sie es nicht fertig. Die Ironie des Schicksals war geradezu atemberaubend. Sie war in Chris Shepards Leben geplatzt, weil sie glaubte, dass seine Frau ihn umzubringen versuchte, und nun lag diese Frau selbst auf dem Untersuchungstisch eines Pathologen.
Als Alex hinter John Kaiser in die Garage von Andrew Rusk geschlichen war, hatte sie nicht den leisesten Schimmer gehabt, dass sie dort einen Leichnam vorfinden würde. Tödliche Biowaffen vielleicht oder Säcke voller Gold, aber nicht das. Nicht Thora Shepard. Die Frau, die Alex immer nur in den teuersten Designersachen gesehen hatte, lag in eine Malerplane gewickelt und zusammengekrümmt im Fond eines SUV. Wenigstens war es ein Porsche, dachte Alex ironisch. Doch der Zustand von Thora Shepards Leichnam vertrieb jeden schwarzen Gedanken ganz schnell aus Alex’ Bewusstsein. Thoras seidenglänzendes blondes Haar war verkrustet mit einer dicken Schicht Blut. Ein Glück angesichts der Tatsache, dass es den zerschmetterten Schädel darunter verbarg. Ihre noch vor kurzer Zeit makellose Haut hatte grau-weiß ausgesehen wie der Bauch eines Frosches. Als Kaiser sah, dass Alex ihm gefolgt war, hob er Thoras Haar und bat Alex, die Tote zu identifizieren. Thoras wunderschöne, meerblaue Augen, die Alex auf dem Foto in Chris’ Haus gesehen hatte, waren so tot, wie etwas nur tot sein kann – stumpfe, trübe Murmeln, die in ihren Höhlen bereits schrumpften.
»Kann ich Ihnen helfen, Ma’am?«, fragte eine Krankenschwester.
»Nein, danke.« Alex steckte das Taschentuch ein und betrat das Krankenzimmer.
Als sie Chris zitternd im Bett liegen sah, sagte sie sich, dass es der falsche Zeitpunkt war, ihm von Thoras Tod zu berichten. Was hätte es genutzt? Es hätte seine Chancen im Kampf gegen die unbekannte Krankheit sicherlich geschmälert. Dr. Clarke hatte sie gewarnt, dass Chris leiden würde. Auf den Vorschlag von Peter Connolly hin hatte Clarke ein weiteres Virostatikum verabreicht – diesmal eins, das noch im experimentellen Stadium war und Chris hatte mit erneutem Fieber
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