Leises Gift
Sitz zwischen den beiden, dazu eine Schrotflinte auf dem Rücksitz. Alex’ geliehene Sig lag im Handschuhfach, und sie hatte eine achtunddreißiger Smith & Wesson in einem Halfter um ihren linken Knöchel geschnallt.
»Hast du noch irgendwelche Textnachrichten erhalten?«, fragte Will.
»Nein. Ich hoffe nur, sie sind noch nicht aufgebrochen. Sie müssen hier entlangkommen, nicht wahr?«
»Nicht unbedingt. Es gibt ein halbes Dutzend Wege aus dieser alten Gegend.«
»Na wunderbar.«
Das aufgewühlte Wasser des Stausees kam in Sicht. Will bog nach Süden ab und fuhr entlang dem Streifen Land, auf dem sich der Yachthafen und das Fennellsche Anwesen befanden. »Wie möchtest du vorgehen?«, erkundigte sich Will.
»Wir fragen nett und höflich nach Jamie«, entschied Alex. »Dann nehmen wir den Jungen mit und verschwinden von hier. Bill wird wahrscheinlich wegen Mordes verhaftet, noch ehe der Tag zu Ende ist.«
»Fennell kann ein verdammt jähzorniger Mistkerl sein«, sagte Will. »Er ist einmal fast ins Gefängnis gewandert, weil er in einem Wutanfall einen Passanten am Straßenrand zusammengeschlagen hat.«
»Das habe ich nicht gewusst.« Alex ließ die linke Hand auf ihre Magnum fallen. »Aber ich würde sagen, wir sind darauf vorbereitet, damit klarzukommen.« Sie deutete auf ein großes schmiedeeisernes Tor fünfzig Meter voraus. »Fahr langsamer.«
Will fuhr bis zum Tor und hielt an.
»Mit einer Kette gesichert!«, sagte Alex und deutete auf ein schweres Vorhängeschloss.
Will stieg aus, kletterte auf die Pritsche seines Trucks und öffnete einen glänzenden Werkzeugkasten. Dann nahm er einen langen Bolzenschneider hervor.
»Wirklich praktisch, dich in der Nähe zu haben«, sagte Alex.
Will sah ihr fest in die Augen. »Bevor wir reingehen, möchte ich dir eine Frage stellen. Wie groß ist die Chance, dass wir irgendeinen verdammten Mist antreffen?«
Sie hatte versucht, nicht an diese Möglichkeit zu denken. Doch jetzt hatte Wills Stimme ihren heimlichen Ängsten Bahn gebrochen.
»Deshalb bist du bei mir«, sagte sie leise. »Wenn ich mit Sicherheit wüsste, dass ich es nur mit Bill zu tun habe, bräuchte ich niemanden, der mir hilft, mit ihm fertig zu werden.« Will seufzte wie ein alter Mann, der dringend ein Nickerchen machen möchte. »So was Ähnliches habe ich mir gedacht.«
»Wenn du möchtest, gehe ich ohne dich rein«, sagte Alex ernst. »Du kannst solange hier warten.«
Der alte Detektiv neigte den Kopf zur Seite und schaute sie an. Seine wässrigen Augen sahen aus wie die eines alten Bluthundes. »Honey, dein Dad hat mir so oft den Hintern gerettet, wenn ich in der Klemme gesessen habe, dass ich es gar nicht mehr zählen kann. Deshalb bin ich jetzt an seiner Stelle hier. Und ich werde genau das tun, was er an meiner Stelle tun würde.« Will legte den Gang ein, und der Truck rollte vorwärts. »Los, gehen wir den Jungen holen.«
Er fuhr durchs Tor und über die lange, gewundene Auffahrt, die zur Rückseite der Fennellschen Villa führte, einer überdimensionalen Kopie eines Südstaaten-Anwesens mit weißen Säulen und umlaufender Veranda. Er hielt an, als sie noch gut hundert Meter entfernt waren, und parkte hinter einer kleinen Baumgruppe.
»Das ist nah genug«, entschied er.
Als er den Motor abstellte, setzte der Regen ein, der seit Stunden am Himmel gehangen hatte. Er fegte über das Anwesen wie voranstürmende Wogen grau gekleideter Soldaten. Die ersten Tropfen prallten auf den Pick-up wie Schüsse aus einer Pellet-Pistole. Das Herrenhaus verschwand hinter einem grauen Vorhang. Durch die Lücken zwischen den Bäumen konnte Alex die bleierne Oberfläche des Sees erkennen. Sie öffnete das Handschuhfach, nahm die Sig Sauer, die Will ihr vor zwei Tagen gegeben hatte, stieg aus und marschierte zu einer großen Eiche. Will hielt das Schrotgewehr locker in der linken Hand, sodass der Lauf nach unten zeigte, während er in der rechten seine Pistole hielt. Als er bei Alex angekommen war, drehten sich beide zusammen um und beobachteten das Haus und das umliegende Grundstück, während der Regen ihre Kleidung durchnässte. Die Villa war zum See hin gebaut worden. Hunderte von Bäumen und Büschen standen auf dem fünfzigtausend Quadratmeter großen Grundstück, und überall waren im englischen Stil kleine Teiche und Gärten angelegt. Allein die Landschaftsgärtnerei hatte mehr Geld gekostet als die Häuser ringsum. Zu ihrer Linken lag ein Tennisplatz, zu ihrer Rechten ein Pool mit einer
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