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Leises Gift

Leises Gift

Titel: Leises Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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eine Armee von SWAT-Leuten konnte ihn auf diese Weise nicht im Haus festnageln. Abgesehen davon, dass keine solche Armee im Anmarsch war, lautete die vornehmlichste Frage: Wieso war Tarver überhaupt hier?
    »Versuchen Sie nicht, den Helden zu spielen, Opa«, sagte der Doktor. »Ritterlichkeit ist eine kostspielige Geschichte, und Sie sind längst über das Alter hinaus.« Tarver machte einen Schritt nach rechts. »Ich hab ein Bild von Ihnen in meinem Handy, alter Mann. Es zeigt, wie Sie nach ein paar Raschen Bier tief und fest schlafen.«
    Will murmelte eine unverständliche Antwort.
    »Und Sie, Agentin Morse, erinnern sich bestimmt, wie es ist, wenn man von einer Ladung Schrot getroffen wird, oder?«
    Alex’ rechte Gesichtshälfte brannte. Sie spürte, wie Will sich neben ihr anspannte wie ein Raubtier vor dem Sprung. Sie schloss die Augen und versuchte ihn durch bloße Willenskraft zu erreichen: Lass es. Versuch es nicht … du bist nicht schneller als eine Ladung Schrot …
    »Werfen Sie Ihre Waffen über das Geländer!«, befahl Tarver ungehalten. »Sofort!«
    »Wo ist Jamie?«, fragte Alex und warf ihre Sig über die Schulter.
    »Das werden Sie früh genug sehen.«
    Gütiger Gott, lass ihn am Leben sein …
    »Ich liebe dich, Baby Girl«, sagte Will fast unhörbar leise neben ihr.
    Baby Girl? So hatte Will mit seiner Tochter geredet, bevor sie bei …
    Mit der gleichen Bewegung, mit der Will seine Schrotflinte über die Schulter warf, wirbelte er mit all der Schnelligkeit, die ein siebzigjähriger Mann aufzubringen vermochte, von Alex weg. Gleichzeitig feuerte er seine Pistole ab in dem Versuch, Tarver zu verwirren, während er Alex eine einzige Chance erkaufte.
    Ihre Hand hatte die 38er im Knöchelhalfter beinahe erreicht, als der kanonenlaute Knall der abgesägten Schrotflinte den Lärm der Schüsse aus Wills Pistole überdeckte. Das Geräusch schleuderte Alex zurück zu jenem schrecklichen Augenblick, als ein verzweifelter Mann binnen weniger Sekunden ihren engsten Freund und ihr halbes Gesicht vernichtet hatte. Als sie mit der 38er hochkam, war der qualmende Lauf von Tarvers Schrotflinte nur einen halben Meter vor ihrem Gesicht.
    »Es wäre eine Schande, die andere Hälfte auch noch zu ruinieren«, sagte er.
    Alex bewegte die Augen nach rechts unten.
    Will lag auf dem Gesicht. Unter ihm breitete sich eine große dunkle Blutlache aus. Mehrere ausgefranste Austrittswunden im Rücken gaben den Blick frei auf den zerfetzten weißen Knochen des Schulterblatts. Direkt über der Wirbelsäule war ein Loch zu sehen.
    »O Gott …«, stöhnte Alex mit Tränen in den Augen. »Du verdammter Hurensohn.«
    »Es war seine eigene Entscheidung«, sagte Tarver. »Er war ein tapferer Mann.«
    Er ist genauso gestorben wie Dad, sagte die Stimme des kleinen Mädchens in ihr.
    »Was?«, fragte Tarver, indem er ihr die Waffe aus der Hand riss.
    Alex erstarrte. Hatte sie etwa laut gesprochen?
    »Los, ins Haus!«, befahl Tarver. »Gehen Sie!«
    Alex wollte über Will hinwegsteigen, doch Tarver schüttelte den Kopf und deutete zur Vorderseite des Hauses, die dem See zugewandt lag. Auf dem Weg zum Eingang starrte sie zum Bootshaus am Ende des Piers und fragte sich, ob das Carrera Powerboat dort lag. Bill ließ den Schlüssel häufig stecken. Wenn es ihr gelang, Jamie aus dem Haus zu befreien und es zum Bootshaus zu schaffen …
    Der vordere Teil der umlaufenden Veranda war abgeschirmt. Alex öffnete die Tür zu dem geschützten Bereich, trat ein und blieb vor der Tür aus dunklem Zypressenholz stehen, die ins Innere des Hauses führte. Welcher Albtraum mochte sie auf der anderen Seite erwarten?
    »Gehen Sie rein«, befahl Tarver.
    Alex drehte den Knauf und drückte die Tür auf.
    Bill Fennell lag am Fuß der großen Treppe. Seine langen Beine waren in eigenartigem Winkel abgespreizt, und sein Mund stand offen. Als Alex mit hektischen Blicken den Raum nach Jamie absuchte, stieß Tarver ihr den Lauf der Schrotflinte zwischen die Schulterblätter und trieb sie weiter.
    »Warum haben Sie ihn umgebracht?«
    »Er ist nicht tot«, sagte Tarver. »Ich habe ihn betäubt.«
    Wahr oder unwahr? »Wo ist Jamie?«
    Tarver deutete mit dem Lauf der Waffe durch den Raum zu einem Flur, der in den hinteren Teil des Hauses führte. »Da lang.«
    In Alex’ Unterleib breitete sich ein Gefühl der Taubheit aus, das rasch in den Oberkörper stieg. Sie blickte Tarver an. »Bringen Sie mich zu Jamie?«
    Ein tadelndes Lächeln erschien im grauen

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