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Leises Gift

Leises Gift

Titel: Leises Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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geschwungenen Rutsche für Jamie.
    Hinter dem Haus erstreckte sich, wie Alex wusste, ein breiter Pier weit in den See hinaus. Am Ende dieses Piers befand sich ein Bootshaus mit einem Carrera Bowrider darin, wie Alex sich erinnerte – ein Powerboat, doppelt so groß wie das von Andrew Rusk. Es war ausgerüstet mit zwei Außenbordern, die es auf beinahe neunzig Knoten beschleunigten, sodass es mehr flog als übers Wasser fuhr.
    »Das haben Jim und ich oft gemacht«, sagte Will. »Tausende Male, wenn man die Hilferufe wegen häuslicher Streitereien mit einrechnet.«
    Alex’ abgeschürfte Ellbogen brannten, als würde es Säure regnen. »Das ist Bills Hummer«, sagte sie und deutete auf das wuchtige, knallgelbe Geländefahrzeug, das in der Ferne in der Garage erkennbar war. »Er hat zwei davon. Zwei Hl.«
    »Ich weiß«, sagte Will. »Ich habe ihn damit gesehen, wenn er Jamie vorbeigebracht hat und der Junge mit Jim zum Angeln gefahren ist.«
    »Ich hatte ganz vergessen, dass du hin und wieder mit ihnen gegangen bist.«
    Will nickte; dann stapfte er über die freie Fläche. »Jamie ist ein guter Junge«, sagte er. »Ich hatte nie viel für seinen Daddy übrig. Ein großmäuliges Arschloch, wenn du mich fragst.«
    »Du weißt, was ich von ihm denke«, sagte Alex und folgte ihm dicht auf den Fersen.
    Als sie sich dem Haus näherten, sagte Will: »Falls Bill versuchen sollte, uns daran zu hindern, Jamie mitzunehmen, gehst du nach draußen und wartest dort auf mich.«
    »Onkel Will, du …«
    »Keine Widerrede, Mädchen.« Der alte Detektiv drehte sich zu ihr um und sah sie mit hartem Blick an. »Keine Verhandlungen, nichts von diesem Mist. Du gehst einfach nach draußen und lässt mich tun, was getan werden muss.«
    Alex hatte Will noch nie so reden hören. Er sprach über den Abstand einer Generation hinweg – doch Alex wusste genau, was er meinte. Will Kilmer hatte zwei Jahrzehnte lang Mordfälle bearbeitet und wusste nur zu gut, dass ein Mordprozess eine höchst unzuverlässige Angelegenheit war, erst recht, wenn der Angeklagte sich die besten Strafverteidiger leisten konnte. Doch wenn Bill Fennell bei einem häuslichen Streit den Kürzeren zog und dabei starb, würde es keine Sorgerechtsverhandlungen wegen Jamie geben. Es war ein unmenschlicher Gedankengang, überlegte Alex – oder war er im Gegenteil allzu menschlich? Wie dem auch sein mochte, Will hatte nicht unrecht. Alles, was jetzt noch zählte, war Jamie.
    Sie bewegten sich wie Schatten durch den Regen. Will schritt schneller aus. Er atmete schwer, zeigte aber keine Spur von Ermüdung. Als das Haus noch zwanzig Meter vor ihnen lag, blieben sie hinter ein paar großen immergrünen Sträuchern stehen.
    »Die Verandatreppe rauf?«, fragte Alex.
    Will schüttelte den Kopf. »Wir umrunden das Haus und versuchen, einen Blick ins Innere zu werfen.«
    »Sollen wir uns aufteilen?«
    »Normalerweise würde ich Ja sagen. Aber heute? Nein. Sobald wir die rechte Ecke des Hauses erreicht haben, klettern wir auf die Veranda, sodass wir einen Blick durch die Fenster werfen können.«
    Sie traten hinter den Büschen hervor und huschten zur rechten Seite des Hauses. Will drängte sich durch die dichte Hecke unterhalb der Veranda; dann kletterte er an der Ecke über das Geländer, wo er auf Alex wartete. Er bewegte sich mit überraschendem Geschick, stellte sie fest, während sie ihm folgte.
    Hinter dem ersten Fenster lag ein leeres Zimmer. Sie bewegten sich leise an der Wand entlang zum nächsten Fenster. Wieder war hinter der Scheibe niemand zu sehen.
    »Nehmen Sie die Hände hoch!«, sagte eine herrische Stimme hinter ihnen. »Ich ziele mit einer abgesägten Schrotflinte auf Sie.«
    In Alex’ Seele breitete sich tiefste Schwärze aus.
    »Bleiben Sie mit den Gesichtern zur Wand, und werfen Sie die Waffen übers Geländer. Alle Waffen.«
    »Wo ist er hergekommen?«, flüsterte Will zu ihrer Linken.
    Die Hecke, erkannte sie. Er hat hinter der Hecke gelauert.
    Will drehte sich halb zur Seite und sagte mit rauer Stimme: »Hören Sie, Fennell, Sie stecken bereits bis zum Hals im Dreck. Sie wollen doch bestimmt nicht …«
    »Das ist nicht Bill«, sagte Alex.
    Will blickte über die Schulter, schloss die Augen und schüttelte den Kopf.
    So viel musste man Tarver lassen – seine Strategie war bewundernswert. Er hatte die angebliche Nachricht von Jamie geschickt und sich dann hinter der Hecke auf die Lauer gelegt, um auf die Reaktion zu warten. Einfach, doch brillant, denn selbst

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